Die Erschaffung des Universums – Aitareya Upanishad

aitareya upanishad

Die Aitareya Upanishad ist eine der ältesten Upanishaden und wird der Rigveda zugeordnet. Sie besteht aus 33 Versen der Aitareya Aranyaka, einem Text des frühen Hinduismus.  Ähnlich der Brahmanas waren auch die Aranyakas Ritualtexte für orthodoxe Brahmanen, in diesem Falle für solche, die sich in die Waldeinsamkeit zurückgezogen hatten.

Der Aitareya Upanishad können wir die ersten philosophischen Gedanken, Glaubensvorstellungen und Praktiken über die Seele, Schöpfung, Geburt und Wiedergeburt entnehmen, die zur Zeit der Entstehung von diesem Teil der Veden vorherrschte. Das macht sie in vielerlei Hinsicht interessant.

Nicht nur können wir durch sie einen Einblick in die ursprünglichen Ideen erhalten, die vor 2500 – 3000 Jahren im Gebiet Indiens verbreitet waren, sondern auch durch ihre einfache und symbolische Darstellung uns unserer eigenen Natur bewusster werden.

Einleitendes Mantra zur Aitareya Upanishad

oṁ vānga me manasi pratiśṭhitā | OM Mögen meine Worte eins mit meinen Gedanken 
mano me vāci pratiśṭhitam | und meine Gedanken eins mit meinen Worten sein.
āvir-āvir-ma edhi | Möge es sich so manifestieren.
vedasya ma āṇīsthah | In der Wahrheit der Schriften verwurzelt,
shrutam me mā prahāsīh | wird sie mich nicht verlassen.
anena-adhītena-ahorātrān-sandadāmi | Möge ich die Wahrheit in mein tägliches Leben übertragen.
rtam vadiśyāmi | Möge ich das göttliche Gesetz verkünden,
satyam vadiśyāmi | und die Wahrheit sagen.
tan-mām-āvatu | Möge diese Wahrheit mich beschützen
tad-vaktāram-avatu | und meinen Lehrer beschützen.
avatu mām | Möge sie mich beschützen
avatu vaktāram | und meinen Lehrer beschützen;
avatu vaktāram | meinen Lehrer beschützen.
oṁ śāntiḥ śāntiḥ śāntiḥ || OM Frieden, Frieden, Frieden. 

Aus was die Welt entstand

Das erste Kapitel behandelt die Erschaffung der Welt und sagt, dass vor der Schöpfung nur das Selbst existiert hat. Es gab nur das Absolute, keine Dualität. Die Aitareya Upanishad beschreibt danach Schritt für Schritt, wie aus diesem absoluten Selbst die Welt hervorging.

Bevor die Welt erschaffen wurde, existierte nur das Selbst allein; nichts rührte sich. Dann hat das Selbst gedacht: „Lass mich die Welt erschaffen.“

Aitareya Upanishad [1.1.1]

Nachdem das Selbst die Welt erschaffen hatte wollte es, dass es auch Beschützer für diese Welt gibt. Also erschuf es Purusha, das komische Wesen, und gab ihm eine Form. Diese war noch nicht sehr ausgeprägt, also fügte es Organe hinzu: Mit dem Mund kam das Sprechen und mit dem Sprechen das Feuer; mit der Nase kam der Atem und mit dem Atem der Wind; mit den Augen kam das Sehen und mit dem Sehen die Sonne; mit den Ohren kam das Hören und mit dem Hören die vier Himmelsrichtungen; mit der Haut kamen die Haare und mit den Haaren alle Pflanzen, groß und klein.

Dann entstand das Herz, aus dem Herz der Geist und mit dem Geist der Mond. Durch die Entstehung des Bauchnabels begann das Apana zu wirken und mit dem Apana kam der Tod. Gleichzeitig entstanden die Fortpflanzungsorgane, der Samen und durch ihn das Wasser.

Als all diese Organe in dem Körper des Purusha zusammengefunden hatten, wurde die Nahrung erschaffen und er den körperlichen Bedürfnissen wie Hunger und Durst unterworfen. Das sollte dem Zweck dienen, dass der Körper nicht träge ist, sondern aktiv mit der Welt interagiert und sich um seine Erhaltung und sein Überleben kümmert.

Der Sitz der Seele im Körper

Das Selbst, der Schöpfer, dachte weiter: „Wie können alle diese Lebewesen ohne mich überleben? Wie kann ich ihnen wirkliches Leben geben?“

Also öffnete er die Schädelnaht des Körpers und drang durch diese Öffnung in ihn ein. Im Körper suchte er sich drei Orte, an denen er verweilen würde: Als erstes das rechte Auge, dann den Geist und schließlich das Herz.

Diese Orte werden den drei Bewusstseinszuständen zugeorndet, die wir im Laufe eines Tages erfahren: Das Auge steht für das Wachbewusstsein (Vaishvanara), mit unseren Sinnen nach außen gerichtet; der Geist steht für den Traumzustand (Taijasa), in dem unsere Sinne nach innen gerichtet sind; das Herz steht für den Tiefschlaf (Prajna), in dem nichts ist, außer das Selbst.

Schließlich betrachtete das Selbst, durch den von ihn geschaffenen Körper die von ihm geschaffene Welt und fragte sich, wie all dies getrennt von ihm zu sein scheint. Schließlich fand er, dass nichts außerhalb seiner eigenen Realität, der Realität Brahmans, existieren kann.

Die dreifache Geburt der Seele

Laut der Aitareya Upanishad spielen sowohl Vater und Mutter eine große Rolle in der Geburt des Kindes, nicht nur was die eigentliche Erzeugung, sondern auch was die Zeit davor und danach betrifft. Das zweite Kapitel beschreibt das Konzept der dreifachen Geburt eines Menschen und wie dieser Prozess vonstattengeht.

Die erste Geburt passiert nach dieser Darlegung schon lange vor der eigentlichen Geburt, nämlich dann, wenn sich die Seele ihres Karmas entsprechend dazu entscheidet, wo, wann und wie sie inkarnieren möchte.

Dieser Prozess beginnt durch die Nahrungsaufnahme des Mannes, aus der der Samen entsteht und durch die Vereinigung mit einem Frauenkörper dann ein neues Leben erzeugt. Die erste Geburt beginnt physisch also im Körper des Mannes und endet im Körper der Frau.

Die zweite Geburt besteht in der Schwangerschaft, der eigentlichen Geburt und dem Heranwachsen des Kindes. In dieser Zeit ist die Aufgabe des Vaters, die Mutter und somit auch das Kind zu ernähren. Er sorgt somit für ein Fortbestehen der Menschheit und der eigenen Familie. Ist das Kind gesund aufgewachsen, ist die zweite Geburt abgeschlossen.

Nachdem die zweite Geburt abgeschlossen ist und das Kind zu einem erwachsenen Menschen herangewachsen ist, ist es nicht weiterhin abhängig von der Hilfe seiner Eltern. Nun erfüllt es seine eigenen Pflichten, lebt sein Leben, wird alt und stirbt, um schließlich entsprechend seiner Handlungen neugeboren zu werden. Das ist die dritte Geburt.

Das Leben beginnt im Mann als sexuelle Flüssigkeit, in welcher sich die Stärke aller seiner Glieder sammelt. Ein Mann hält seine Quintessenz in seinem Körper und in einer Frau wird es zu einem Kind. Das ist die erste Geburt.

Aitareya Upanishad [2.1.1]

Die Natur des Bewusstseins

Die Aitareya Upanishad bildet einen schönen Kreislauf. Sie beginnt vor der Entstehung, wo es nur das reine Selbst gab, erklärt dann die Schöpfung und den Prozess der Geburt und knüpft mit dem dritten Kapitel letztlich wieder dort an, wo sie angefangen hat: bei dem reinen Selbst.

Dieser Kreislauf spiegelt sich auch sehr schön in unserem eigenen Leben wieder. Um die Freiheit zu erlangen und den Kreislauf zwischen Geburt und Tod zu entkommen, ist es notwendig, dass wir unser Selbst verwirklichen, also unsere wahre Natur erkennen. Es ist das Selbst, was hinter den Sinnen steht. Es ermöglicht ihr Dasein, durchdringt sie, aber kann von ihnen nie vollständig erfasst werden.

Dieses letzte Kapitel enthält ein Mahavakya, eine der drei großen Aussprüche aus den Upanishaden: Prajnanam Brahma – Bewusstsein ist Brahman.

Was ist das Selbst, über das wir meditieren? Ist es das Selbst, durch das wir sehen, hören, riechen und tasten, durch das wir in Wörtern sprechen? Ist das Selbst der Geist, durch den wir wahrnehmen, steuern, verstehen, wissen, erinnern, denken, wollen, wünschen und lieben?

All dies sind nur Diener des Selbst, welches reines Bewusstsein ist. Das Selbst ist alles in allem.

Aitareya Upanishad [3.1.1-2]

Die Entstehung der ersten vedischen Konzepte

In der Aitareya Upanishad finden wir eine Darstellung der ersten Konzepte, die es in den Veden und im Hinduismus über das Leben, Geburt und Tod gab. Die Aitareya erklärt uns zuallererst, wie sich das absolute Selbst (Brahman) manifestiert hat, wie der Körper entstand und wie Seelen diesen Körper betreten.

Danach geht sie auf die dreifache Geburt ein und erklärt den Zyklus zwischen Wiedergeburt und Tod; und letztlich wie wir diesen Zyklus transzendieren können, nämlich indem wir unsere wahre Natur erkennen, die jenseits der Sinne und des Körpers liegt.

Die zentrale Aussage der Aitareya Upanishad ist dabei dieselbe, die wir auch aus anderen Upanishaden und dem Vedanta kennen: Die manifestierte Welt und das individuelle Selbst sind EINS mit Brahman, dem Ganzen. Trennung erscheint uns lediglich durch die verschiedenen Namen und Formen. Das, was gesehen wird, ist dasselbe wie das, was sieht.

Om Shanti Shanti Shanti

Weitere Kapitel der Upanishaden kannst du auf unserer Website lesen.


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