Was ist denn eigentlich Yoga? Wo liegen die Wurzeln und Zweige des Yoga? Die meisten Menschen die Yoga praktizieren, würden wohl meinen diese Frage einigermaßen beantworten zu können, derweil fällt dann aber eine echte Definition, oder Abgrenzung meist doch schwerer als gedacht.
Wurzeln und Zweige des Yoga in der Philosophie
Selbst Yogalehrer und Indologen haben Schwierigkeiten den Begriff „Yoga“ klar zu umreißen, denn tatsächlich ist es eines der vielseitigsten Konzepte der indischen Spiritualität. Und letztlich ist auch alles, was man im Unterricht oder der Yogalehrerausbildung lernt, nur eine bestimmte Perspektive auf Yoga.
Zum einen ist Yoga der Name einer der sechs „orthodoxen“ indischen Philosophien, zu denen auch Sankhya und Vedanta zählen. Dieses philosophische Yoga wird durch die Yoga Sutras repräsentiert, die wohl etwa im 3. Jahrhundert n. Chr. von Patanjali verfasst wurden. Yoga im Sinne von Körperübungen spielen hier keine Rolle.
Yoga in spirituellen Praktiken

Weiterhin ist Yoga ein indischer Begriff für meditative Praxis, bzw. das Ziel der meditativen Praxis. Als solcher wurde der Yogabegriff für diverse Praktiken und Traditionen genutzt, darunter auch die sechs Yogawege:
- Raja Yoga
- Hatha Yoga
- Bhakti Yoga
- Karma Yoga
- Kundalini Yoga
- Jnana Yoga
Der Ursprung des Yoga in dieser Bedeutung ist ungewiss, lässt sich aber bis auf die rund 2500 Jahre alte Shramana Bewegung der vedischen Kultur zurückverfolgen, aus der dann auch der Buddhismus und der Jainismus entstanden sind. Auch die tantrischen Traditionen waren hier vor rund 1000 Jahren sehr prägend, ihre zentrale Rolle wird aber oft übersehen. Aus diesen Ursprüngen hat sich dann auch das spätere Hatha Yoga entwickelt.
Wurzeln des modernen Yoga

Heutzutage bezeichnet der populäre Yogabegriff hingegen eine Ansammlung an gymnastischen Körperübungen, die teils durch Meditations- und Atemübungen sowie grob vereinfachte und vereinheitlichte indische Philosophie ergänzt werden. Diese Auffassung wird in der Fachliteratur meist als „modernes Yoga“ bezeichnet und ist ein Produkt des 20. Jahrhunderts.
Vormoderne europäische Gymnastiktraditionen, die englische Kolonialherrschaft und die indische Unabhängigkeitsbewegung, westlicher Okkultismus, Naturwissenschaften und Psychologie sowie Globalisierung, Kapitalismus und Individualismus haben durch das Wirken federführender indischer Gurus wie Krishnamacharya, Vivekananda, Sivananda, Kuvalayananda, Iyengar und vielen weiteren, eine Revitalisierung und Transformation des vormodernen (Hatha) Yogas bewirkt und das hervorgebracht, was heute meist als Yoga praktiziert wird.
Doch auch im modernen Yoga gibt es eine Vielzahl an Traditionen, die sich in unterschiedlichem Ausmaß und mit unterschiedlicher Berechtigung, auf verschiedene indische Schriften und Traditionen berufen. So haben die Namen heutiger Yogaschulen, wie Asthanga Yoga (nach Patabhi Jois), oder Kundalini Yoga (nach Yogi Bhajan), keinen besonderen Bezug zu den gleichnamigen vormodernen Traditionen. Zudem hat auch das, was man heute als Tantra bezeichnet, kaum etwas mit dem klassischen Tantra zu tun, zu dem beispielsweise auch der tibetische Buddhismus zählt.
Generell ist das moderne Yoga ein kaum überschaubares Feld, in dem indische Begriffe mit neuen Bedeutungen versehen werden, stets mit der Behauptung man stünde in „der wahren“ Yogatradition. All das kann nur zu weiterer Verwirrung führen. Wenn man über „das Yoga“ spricht, sollte man sich also bewusst machen, dass man wohl nur einen Ausschnitt, eine Perspektive, kennt und keine allgemeingültigen Ansprüche auf Wahrheit erheben. Alternativ kann man sich aber auch mal tiefer mit den Wurzeln und Zweigen des Yoga beschäftigen. Ein etwas anspruchsvolles, jedoch auch sehr spannendes Unterfangen.
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Empfehlenswerte Fachliteratur zur Geschichte des modernen Yoga findet sich vor allen Dingen auf Englisch:
- Karl Baier – Yoga auf dem Weg nach Westen; Yoga in Transformation
- Mark Singleton – Yoga Body
- Mark Singleton and James Mallinson – Roots of Yoga
- Elizabeth de Michaelis – A History of Modern Yoga
- Beatrix Hauser – Yoga Traveling
- Joseph Alter – Yoga in Modern India
Der Autor

Raphael Mousa ist Yogalehrer, Yogatherapeut und Ayurveda Gesundheitsberater und schreibt seine Doktorarbeit über den Austausch von Yoga und Psychotherapie. Er wurde in Indien und Deutschland in den Yoga-Traditionen von Sivananda, Satyananda und Iyengar ausgebildet. In Indien war er außerdem in der Yoga-Klinik Arogyadham tätig und hat in zahlreichen Ashrams und heiligen Stätten gelernt und praktiziert.
Für seinen Bachelor in Ethnologie und Psychologie und seinen Master in Medizinanthropologie hat er in Nepal über Schamanismus geforscht. Weiterhin hat er Kurse und Retreats, u. a. in Klangtherapie, Vipassana, Tantra, tibetischem Buddhismus, Ayurveda, traumasensiblen Yoga, psychologischer Yogatherapie, Reiki und Kundalini Yoga absolviert.
Bei Yoga Vidya Bad Meinberg ist Raphael Sevaka in den Abteilungen für Yogatherapie und Ayurveda tätig und gibt u. a. yogatherapeutische Einzelsitzungen, Yogastunden, Pranayama, ayurvedische Konsultationen und Massagen.