Das 13. Kapitel der Bhagavad Gita handelt von einem sehr interessanten Konzept: dem Feld und dem Kenner des Feldes. Es ist in diesem Kapitel, wo Krishna mit der Einführung in das Jnana Yoga beginnt.
Jnana Yoga ist der Yoga der Erkenntnis oder der Yoga des (wahren) Wissens. In der Bhagavad Gita wird er durch die Samkhya-Philosophie vermittelt, in der es, anders als im Vedanta, eine grundlegende, universale Dualität gibt: die Dualität zwischen Purusha, dem Kenner, und Prakriti, dem Feld.
Wie lässt sich das Feld definieren?
Die großen Elemente, das Ichbewusstsein, der Verstand und auch die nicht-manifeste Natur, die zehn Sinne, der Geist und die fünf Sinnesobjekte,
Wunsch, Hass, Freude, Schmerz, die Gesamtheit, Intelligenz, Unerschütterlichkeit – all das umfasst das Feld.
Kapitel 13, Vers 5-6
Anders gesagt ist das Feld die Gesamtheit aller wahrnehmbaren Vorgänge und Objekte. Alles was wir sehen, hören, riechen, denken, fühlen, uns vorstellen oder erträumen können ist das Feld. Alles was eine Eigenschaft hat, sei sie noch so subtil, gehört zum Feld. Das Feld umfasst alles, was wir einen Namen oder eine Form geben können.
Auch in den modernen Wissenschaften wird das Wort „Feld“ gerne verwendet und deckt sich von der Beschreibung tatsächlich sehr gut mit dem, was in der Bhagavad Gita mit dem Feld gemeint ist. In der Physik gibt es zum Beispiel das Zeit-Raum-Kontinuum, das als Feld beschrieben werden kann, in dem bestimmte Kräfte wirken. Prakriti beschreibt im Prinzip dasselbe.
So wie die Physiker Materie und Energie, oder Teilchen und Wellen, nicht mehr als getrennt voneinander betrachten, so betrachtet die Bhagavad Gita Körper und Geist nicht als getrennt voneinander. Beides sind Aspekte von ein und derselben Sache – Prakriti.
Prakriti oder das Feld umfasst also das Universum – oder alle Universen – in all ihren Erscheinungen, ob grob oder subtil, materiell oder geistig, sichtbar oder unsichtbar. Alle Schwingungen und Energien und all ihre Manifestationen gehören zum Feld.
Nun stellt sich natürlich die Frage, was übrig bleibt oder was es noch geben soll, wenn man alles Beschreibbare und Wahrnehmbare als ein Feld zusammenfasst. In unserer eigenen Erfahrung können wir das selbst untersuchen: Was lässt sich außer den Sinneseindrücken, den Gedanken und den Gefühlen noch finden?
Wenn wir im Außen suchen, nach weiteren wahrnehmbaren Phänomenen oder Objekten, werden wir nichts finden. Jedoch gibt es eine Instanz, die so offensichtlich ist, dass wir sie oft einfach übersehen oder vergessen: die, die all das beobachtet und wahrnehmen kann. Sie selbst hat keine Eigenschaften, ist von Natur aus rein und still, verändert sich nie, ist jedoch bei all dem, was passiert, anwesend – Purusha, der Kenner des Feldes.
Wer ist der Kenner des Feldes?
Über Purusha oder den Kenner des Feldes gibt es von Krishna keine so detaillierte und klare Beschreibung wie über Prakriti. Das liegt schlicht daran, dass man das, was jenseits von Worten ist, nicht mit Worten beschreiben kann. Dennoch gibt es viele Worte für das Wortlose – wir nennen es Seele, Atman, Brahman, Selbst oder auch Gott.
Mit Händen und Füßen überall, mit Augen, Köpfen und Mündern überall und mit Ohren überall ist Er in der Welt und umhüllt alles.
Durch die Funktion aller Sinne strahlend, und doch ohne Sinne; unverhaftet, und doch alles tragend; ohne Eigenschaften, und doch der, der sie erfährt,
Außerhalb und innerhalb aller Wesen, der beweglichen und unbeweglichen; wegen Seiner Feinstofflichkeit nicht zu erkennen; und nahe und weit weg ist Das.
Und obwohl Es ungeteilt ist, ist Es doch gleichsam auf Wesen verteilt; es muss als der Träger aller Wesen erkannt werden; Es verschlingt und lässt entstehen.
Von Ihm, dem Licht der Lichter wird gesagt, Es liege jenseits der Dunkelheit; das Wissen, das zu Wissende und das Ziel des Wissens, das im Herzen aller ist.
Kapitel 13, Vers 13-17
Viveka – Die Unterscheidungskraft
Um dieses Purusha als unsere wahre Natur zu verwirklichen, spielt Unterscheidungskraft (sanskrit: viveka) eine wichtige Rolle. Darauf deutet auch der Titel des 13. Kapitels der Bhagavad Gita: Der Yoga der Unterscheidung zwischen dem Feld und dem Kenner des Feldes.
Auf der relativen Ebene und im alltäglichen Leben hilft uns viveka, zwischen dem zu unterscheiden, was förderlich für uns und für andere ist und was nicht. So können wir klar sehen, was getan und was vermieden werden sollte.
Auf dem spirituellen Weg wird viveka weiter gefasst. Hier geht es nicht um Unterschiede zwischen Erfahrungen, Gedanken und Taten, sondern um die Natur dieser Dinge. Die grundlegende Frage ist daher, was Selbst und was nicht-Selbst ist – was erfährt und was erfahren wird.
Das Selbst ist Purusha, die Seele, das Wahrnehmende, das unberührt von allem bleibt – jenseits von Raum und Zeit, still und leise. Das nicht-Selbst sind all die Erscheinungen von Prakriti, die sich als die Welt, als Gedanken und das erdachte „Ich“ zeigen.
Eine praktische Übung im Jnana Yoga ist es daher, immer wieder die Position des Beobachters einzunehmen und so die Anhaftungen mit allen vergänglichen Erscheinungen zu lösen. Diese Übung kann sowohl im Alltag als auch als formelle Meditation praktiziert werden – wir nennen sie Sakshi Bhava.
Der Unterschied zwischen Samkhya und Vedanta
Samkhya und Vedanta sind zwei der insgesamt sechs indischen Philosophiesysteme und sind für uns Yogis – neben dem Yoga natürlich, das auch eins dieser Philosophiesysteme ist – am interessantesten.
In der Samkhya-Philosophie gibt es eine universelle Dualität zwischen Purusha und Prakriti, dem Selbst und der Welt. Laut dieser Weltanschauung existieren beide unabhängig voneinander und lassen durch ihr Zusammenwirken das Leben so, wie wir es kennen, entstehen.
Im Vedanta gibt es eine solche Dualität nicht. Hier wird gesagt, dass jede Vorstellung von Dualität und Trennung eine Illusion ist – Maya. Das Wahrnehmende und das Wahrgenommene sind ein und dasselbe – Atman, das wahre Selbst. Deutlich wird das auch durch den gerne verwendeten Zusatz „Advaita“, das wörtlich nicht-Dualität bedeutet.
Während sich das in der Theorie wie ein monumentaler Unterschied anhört, ist er in der Praxis tatsächlich nicht so groß. In beiden Philosophiesystemen wird Unwissenheit, die durch die Identifikation mit Körper und Geist entsteht, als die Hauptursache für Leid betrachtet. Auch sehen beide Philosophien das wahre Selbst als ewig und unantastbar.
Spirituelle Übungen wie das oben vorgestellte Sakshi Bhava, also das Einnehmen einer distanzierten Beobachterposition, entsprechen daher sowohl Samkhya als auch Vedanta.
Letztlich geht Vedanta einfach noch einen Schritt weiter als Samkhya und sagt: Der Beobachter und das Beobachtete unterscheiden sich in ihrer Natur nicht. Finde heraus, was der Beobachter wirklich ist, dann wirst du erkennen, was alles ist.
Die höchste Seele in diesem Körper wird auch der Beobachtende, Gewährenende, Erhaltende, Erfahrende, der große Herr und das höchste Selbst genannt.
Kapitel 13, Vers 22
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