Die Angst vor der eigenen Kraft und Größe

Rami Julia
Lesezeit: 5 Min

Die Angst vor der eigenen Kraft und Größe. Als Kind wurde mir beigebracht, dass ich mich zurückhalten muss – vor allem als Mädchen. „Sei nicht so laut, das gehört sich nicht. Rede nicht dazwischen. Mund zu, es zieht.“ Ich habe oft erfahren, dass ich zu viel bin, und so fällt es mir heute schwer in meine Kraft zu kommen. Ich habe gelernt, mich zurückzunehmen und brauche jetzt einen Weg, der mir zeigt, wie ich zurückkomme, in meine ganz eigene natürliche Kraft und Stärke, die in mir verborgen ist.

Ein Beitrag von Rami Julia.

Der Ursprung der Angst vor der eigenen Kraft

Vor einiger Zeit habe ich ein Foto aus meiner Kindheit betrachtet. Es zeigt mich, voller Lebendigkeit, wie ich wie ein Löwe brülle und mich dabei freue, mich dem Fotografen – meinem Vater – voll und ganz in der Kraft zu zeigen. Ein paar Jahre später sitze ich auf einem Foto mit gebeugten Rücken und schüchtern, verunsichert zwischen meiner Familie. Was ist passiert?

Die familiäre Erziehung ist nicht der einzige Grund unserer Verunsicherung, Schule und die Gesellschaft haben oftmals nicht wenig dazu beigetragen, uns passend zu machen. Die Eltern mussten arbeiten und hatten „wichtigeres“ zu tun, als uns zu integrieren, nämlich Geld verdienen, und so mussten wir/ich in diesen Alltag passen. Es ging gar nicht anders, zumindest für mich als Kind nicht. Weinen, schreien, verstummen.

Tierliebe

Oft ein „Nein“ zu bekommen, verunsicherte mich. Und so fragte ich nicht mehr nach meinen eigenen Bedürfnissen und lernte so nicht mitzugestalten, was mein Leben betraf, sondern mich einzufügen.

Freundschaften habe ich dort gesucht, wo ich Ablehnung erfahren haben. Ich wollte die tollsten Freunde haben, die, die schon besetzt waren. Schon beste Freunde hatten, weil ich dort gesehen habe, wie schön eine Freundschaft sein kann. Dass es nicht darauf ankommt, wer und mit wem man befreundet ist, sondern dass Freundschaften entstehen und sich entwickeln, durch Erfahrungen, die man gemeinsam macht, wodurch Nähe entsteht, das war mir nicht bewusst. Ich wollte, was die anderen haben und das führte zu Vergleich, Eifersucht, Neid. Ich kämpfte immerzu, vergab meine Energie so und wurde schwach.

Selbstverantwortung und Vertrauen durch Selbstliebe

Om Asatoma Sat Gamaya, ein Mantra, das von der Transition von der Dunkelheit ins Licht spricht. „Ich bringe ans Licht, was unbewusst noch in mir steckt“, sagt es.

Der Glaubenssatz, „Wir müssten genau das haben, was der andere hat, weil es ihm so gutzugehen scheint“, führt in die Dunkelheit. Hier entstehen Neid und Trennung. Was wir haben, erscheint uns weniger wert, und daher darf der Andere bloß nicht zu stark, zu groß oder zu schön sein. Denn sonst stehen wir im Schatten.

Doch wir haben selbst unser Licht gedimmt, uns selbst in den Schatten gestellt. Es ist wichtig, sich dies vor Augen zu führen & zu erkennen: „Ich bewege mich. Ich gestalte mein Leben. Ich stehe in der Verantwortung.“

Das Mantra ‚Om Namo Bhagavate Vasudevaya‘ sagt zudem: „Fürchte dich nicht. Vertraue.“ Dabei geht es auch darum, den Glauben und das Vertrauen in die eigene Vollkommenheit, den eigentlich göttlichen Kern zu finden. Zu erkennen, dass es eine Kraft gibt, die immer für uns da ist und uns unterstützt. Wir müssen uns ihr einfach nur hingeben. Voller Vertrauen, dass wir von der Vergangenheit befreit sind, sobald wir uns selbst in Selbstliebe weiter bewegen.

Erwecke deine(n) innere(n) Krieger:in

Ich erlebe oft, dass einige Stellungen im Yoga mich an meine Grenzen bringen – der Krieger ist ein wunderbares Beispiel dafür.

In der Mitte sein, die Arme haltend, wird mir schwindelig, weil ich diese Kraft, die da in mir steckt, nicht gewohnt bin. Mein Körper rebelliert, weil es ungewohnt für ihn ist, in dieser Kraft zu sein und sie zu halten. Und doch ist es meine vollkommene Präsenz und Standhaftigkeit in meinen Gefühlen und Werten, die ich hier erproben und spüren kann.

„Übe in der Kraft zu sein, groß zu sein und im Vertrauen zu sein!“ Und die Angst schwindet wie von selbst.

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13 Kommentare
  • Liebe Rami Julia

    Vielen Dank für diesen bewegenden Beitrag.
    Ich mache schon viele Jahre Yoga, aber nach ich gelesen habe,wie es dir im Leben erging,wobei ich mich selbst erkannte, sehe ich Yoga mit anderen Augen. Auch ich habe mit manchen Übungen Probleme .
    Die reichen von nicht können, bis nicht wollen.
    Das es an der Psyche liegen könnte, wäre mir nie in den Sinn gekommen.
    Vielleicht werde ich mir in Zukunft manche Übungen genauer vornehmen und sagen „ich will“.
    Ich weiß, das schreibt sich so leicht, mal sehen ob ich es in Taten umsetzen kann.
    Alles Liebe und Gute für dich.

    • Liebe Johana, danke dir für deine offenen Worte 🙏✨. Es berührt sehr, dass dich Ramis Beitrag inspiriert hat, Yoga mit neuen Augen zu betrachten. Ja, manchmal spiegeln uns die Asanas auch innere Themen – und allein das Erkennen ist schon ein wichtiger Schritt. Hab Vertrauen, geh liebevoll mit dir selbst um und gib dir Zeit 💛. Auch kleine Schritte sind wertvoll – und aus ‚ich will‘ kann nach und nach ein ‚ich kann‘ entstehen.
      Om Shanti und alles Gute für deinen weiteren Yogaweg 🕉️💫

  • So berührend dein Text. Vielen Dank fürs teilhaben lassen. Ich habe es genauso erfahren wie du es beschreibst. Yoga hat mir da sehr geholfen und hilft mir immer noch, denn so eine Konditionierung löst sich nur langsam auf. Om Shanti Daniela

  • Namaste 🙏
    Ich danke Dir. Du triffst es genau auf dem Punkt. Ich habe mich damals einfach nicht sicher gefühlt und spüre diese Unsicherheit heute noch.
    Seid dem ich Yoga Vidya kennengelernt habe, wird es von Jahr zu Jahr besser.
    Dafür bin ich so dankbar!

    OM SHANTI 🕉

  • Liebe Rami Julia,

    hab herzlichen Dank für Deine Offenheit und das Teilen Deiner Geschichte, die mich sehr berührt. Und vielen Dank für die Inspiration und Ermutigung! 💖

  • Deine Geschichte hat mich tief berührt, da sie meiner, vor 60 Jahren, so sehr ähnelt ✔️danke für deine Worte in diesem Text und Kontext🙏OM Namah Shivaya💝Gitta

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