Der Begriff „Sankalpa“ ist vielen Yogis wohlbekannt. In Praktiken wie Yoga Nidra wird er oft genutzt, um tiefgreifende Veränderungen zu bewirken. In der Meditation bei der Eröffnungspuja von Shivaratri hat mich ein Sankalpa plötzlich ohne Vorwarnung „gefunden“ . In diesem Artikel teile ich meine persönliche Erfahrung mit dem Sankalpa, das mich seit der Shivaratri-Puja 2025 im Nordsee-Ashram begleitet, und wie es nun meine Haltung sowohl körperlich als auch geistig stetig transformiert. Gewürzt wird der Artikel mit Bildern aus der besagten Nacht, von Maha Shivaratri 2025 im Nordsee Ashram.
Was ist ein Sankalpa?
„Sankalpa“ oder auch Samkalpa ist ein Sanskrit-Wort, das in etwa mit „Vorsatz“, „Gedanke“, „Leitgedanke“ oder „Willensausrichtung“ übersetzt werden kann. Swami Sivananda beschreibt es als die „Saat, die deine Zukunft hervorbringt“ und betont die Macht des Gedanken, der das Schicksal eines Menschen prägt. In der spirituellen Praxis wird der Sankalpa oft als eine Art innerer Entschluss genutzt, der den Weg für persönliche und spirituelle Veränderungen ebnet. Er hilft uns, eine klare Richtung zu finden und uns mit unserem höheren Selbst auszurichten
Während einer Puja oder Zeremonie wird der Sankalpa oft zu Beginn formuliert. Er dient als ein innerer Kompass, der die Absicht für die Praxis festlegt – sei es zur Heilung, zur Transformation oder zur Verwirklichung eines spirituellen Ziels. Ein wahrhaftiger Vorsatz oder ein Gedanke, der der Verbindung mit dem Höchsten entspringt wird auch Satsankalpa oder Satsamkalpa genannt. Sat = Wahrheit.

Sankalpa in der Praxis
Meist um Silvester/Neujahr herum versprechen wir, eine bessere Version von uns selbst zu werden. Wir versprechen, unseren Körper, unsere Gewohnheiten und unser Leben durch bloße Willenskraft zu verändern. Die meisten dieser Vorsätze verblassen im Februar, und wir fragen uns, warum die Veränderung so schwierig ist.
Sankalpa ist die uralte Praxis der Absichtsbildung. Sie bietet uns einen tieferen, nachhaltigeren Ansatz zur Veränderung. In ihrem Kern liegt eine kraftvolle Wahrheit: In dir ist bereits alles angelegt, was du brauchst, um ein erfülltes Leben zu führen. Während herkömmliche Vorsätze oft aus Selbstkritik entstehen („Ich bin nicht gut, schön, schlau schnell, … genug und muss mich ändern, damit …“), entspringt ein Sankalpa der Selbsterkenntnis. Es ist der Unterschied zwischen dem Zwang zum Laufen, weil man seinen Körper nicht mag, und der Freude an der Bewegung, weil man seine Gesundheit achtet.

Mein Sankalpa: Eine neue Ausrichtung
Die Shivaratri-Puja im Jahr 2025 war ein besonderes Ereignis für mich. Inmitten der Feierlichkeiten, die bis zum Morgengrauen dauerten, erhielt ich das Geschenk, dass sich plötzlich ein Sankalpa in mir breit machte, in mir seine Schwingung verbreitete.
Zwei Wochen vor Maha Shivaratri hatte ich mit nervenraubenden, starken Schulterschmerzen zu kämpfen. Diese waren nicht von jetzt auf gleich entstanden, sondern ich hatte sie eigenhändig großgezüchtet. Wieder einmal hatte ich nicht auf meinen Körper gehört, der mir klare und eigentlich ausreichende Signale gab. Schließlich wurde der Schmerz überbordend und zwang mich nicht nur inne, sondern still zuhalten und ich begann, mein Ver-halten, meine Haltung zu reflektieren. Während der Schmerz mit ein paar Tagen Ruhe langsam verebbte, stieß ich auf die Erkenntnis, dass meine nach vorne fallenden Schultern und die daraus resultierende, leicht buckelige Haltung der Ursprung meines Problems waren. Es war eine alte, schützende Haltung, die ein Resultat meiner Kindheit war und die tief in mir verwurzelt war. Ein Yogalehrer hatte mir einmal gesagt: Die bekommst du eh nicht mehr weg!
Die Crux ist: Nach oben streben, sich nach oben öffnen, geht nicht aus dieser defensiven Haltung heraus. War mir bestimmt in dieser Haltung zu bleiben? Ich suchte mir Kräftigungsübungen heraus, Asanas die bei Shoulder Impingement/ Schulter Engpass Syndrom helfen. Nicht sehr motiviert versuchte ich mit mäßigem Erfolg, diese Übungen in meinen Alltag zu implementieren. Das Wissen war da, dass sich nicht nur meine körperliche Haltung, sondern auch meine geistige, energetische und emotionale Haltung verändern musste. Mein Wesen musste sich neu ausrichten. Aber wo setzt man an, um so einen Veränderungsprozess in Gang zu setzen?
Der Moment der Offenbarung
Gemeinsam mit Adhinata bereiteten wir die zwei Pujas und die Homa vor, die in der Shivaratri-Nacht stattfinden sollte. Als ein erschöpftes Häuflein sank ich rasch tief in die Meditation der Eröffnungspuja. Und in dem Moment, in dem Sharada uns einlud, einen Sankalpa zu formulieren, war für mich ein Schlüsselmoment. Plötzlich, ohne bewusste Absicht, fiel mir mein Sankalpa ein: „Ich richte mich stets so aus, dass Energie fließen kann.“ Beobachtend registrierte ich die Klarheit dieses Gedankens, der sich fremd und richtig zugleich anfühlte. Da war eine neue Schwingung. Mein Rücken bog sich auf natürliche Weise nach vorne/oben, meine Schultern bewegten sich von selbst nach hinten und liessen los, und für einen Augenblick wusste ich, dass dies die Haltung war, die ich einnehmen sollte.
Es war, als ob mein Körper endlich in seiner natürlichen Ausrichtung fand. Ich spürte, wie sich Energie in mir freisetzen konnte, und es war ein tiefes, berührendes Gefühl von Dankbarkeit und Freude. Den Rest der Nacht verbrachte ich in einem Zustand der Beobachtung, wie mein Körper und Geist in Einklang kamen, ohne dass ich etwas aktiv tat. Bis zum Morgengrauen feierten wir Shivaratri, mit Homa, einer weiteren Puja, Shiva Geschichten, tanzend und singend, trommelnd und ja mitunter reichlich meschugge (fast) alles gleichzeitig.
Der Sankalpa wirkt weiter
Obwohl Shivaratri nun schon über zwei Wochen zurückliegt, schwingt der Sankalpa immer noch in mir. In den Tagen und Wochen danach habe ich festgestellt, wie ich meine Haltung immer wieder korrigiere, wie es meinen Körper in bestimmte Asanas „zieht“, um meine Schultern zu befreien und die Energie frei fließen zu lassen. Es fühlt sich an, als ob mein Körper endlich das tut, was er schon lange tun wollte – sich zu öffnen und nach oben zu streben.
Der Sankalpa hat meinen inneren Kompass stark verfeinert, die Impulse sind klarer. Er erinnert mich immer wieder daran, dass Veränderung nicht von außen kommt, sondern tief aus dem Inneren, aus dem Samen ,der gesetzt wurde. Es ist eine ständige Ausrichtung auf das, was wirklich dienlich ist und in Einklang mit Atman, dem wahren Selbst steht. Mitnichten bin ich jetzt schon aufgerichtet, es ist ein schleichender Prozess, der Veränderungen auf allen Ebenen mit sich bringt.

(Yoga Vidya Nordsee, Shivaratri 2025)
Wie man sein Sankalpa findet
Wie findest du deinen eigenen Sankalpa? Es erfordert Geduld und das Hören auf die inneren Wünsche und Bedürfnisse deines Körpers und Geistes. In Meditation oder in Momenten der Stille kann ein Sankalpa auftauchen, wenn du offen bist und den Raum läßt. Oft ist er nicht das Ergebnis von rationalem Nachdenken, sondern vielmehr eine tiefe Eingebung oder ein plötzlicher Impuls. Ein echter Sankalpa ist klar, einfach und affirmativ.
Swami Sivananda betont, dass unsere Gedanken die Grundlage unseres Lebens sind. Daher ist es wichtig, mit Bedacht und Absicht in unserem Geist zu handeln. Dein Sankalpa sollte immer in einer positiven, heilenden Ausrichtung formuliert werden – sei es für Heilung, Erweiterung des Bewusstseins oder Transformation.
„Der Gedanke ist die Grundlage des Universums. Ein Sankalpa ist der Ausdruck dieses universellen Willens. Die Gedanken, die du in deinem Inneren hegst, formen dein Schicksal. Sei achtsam mit deinen Gedanken, denn sie sind die Saat, die deine Zukunft hervorbringt.“
Swami Sivananda, *The Science of Yoga*, Sivananda Ashram, Rishikesh, Indien.
Der Sankalpa ist ein kraftvolles Werkzeug, das nicht nur den Weg zu physischen Veränderungen ebnet, sondern auch tiefere spirituelle Transformationen ermöglicht. Meine Erfahrung während Maha Shivaratri hat mir gezeigt, wie kraftvoll und hilfreich es sein kann, sich auf diese Praxis einzulassen. Wie immer bin ich wie die Jungfrau zum Kind gekommen. Tatsächlich hatte ich unwissentlich den Boden bereitet, dass der Sankalpa Same sich setzte und nun sprießt.
Wie ein Sankalpa entsteht
Ein Sankalpa ist kein bloßer Vorsatz, sondern eine innere Ausrichtung – ein Versprechen an dich selbst, das deinen Weg mit Klarheit und Tiefe durchdringen kann. Du kannst es zu Beginn eines Tages, eines neuen Jahres oder vor deiner Yoga- und Meditationspraxis fassen. Richtig angewandt, hat es die Kraft, nicht nur äußere, sondern auch innere Muster zu verändern – körperlich, geistig, emotional und spirituell. Der Empfang dieses Samen ist immer ein Geschenk. Nichts das wir herstellen, sondern etwas dass wir empfangen, entwickeln und kultivieren.
Lausche nach innen
Viele Vorsätze scheitern, weil sie aus einem Gefühl des Mangels entstehen: „Ich muss mich verbessern, weil etwas nicht stimmt.“ Ein Sankalpa folgt einem anderen Prinzip. Es entspringt nicht dem Wunsch, etwas zu reparieren, sondern dem tiefen Erkennen dessen, was bereits in dir angelegt ist.
Nimm dir einen ruhigen Moment. Schließe die Augen, atme tief ein und aus. Statt krampfhaft nach einer Antwort zu suchen, lausche. Was bewegt dich wirklich? Welche Qualität möchtest du in dein Leben einladen? Wo spürst du eine innere Sehnsucht nach Wachstum?

Gib deiner Absicht eine Form
Wenn du spürst, was in dir mitschwingt, versuche, es in wenigen klaren Worten zu fassen – idealerweise in einem positiven, bekräftigenden Satz. Statt „Ich will endlich erfolgreicher sein“ könnte dein Sankalpa lauten: „Ich öffne mich für die Möglichkeiten des Lebens.“ Statt „Ich muss gesünder leben“ vielleicht: „Ich nähre meinen Körper mit Liebe.“
Hier einige Beispiele zur Inspiration:
– Ich lebe mit Sinn und Klarheit.
– Ich bewege mich mit Freude und Leichtigkeit.
– Ich bin offen für die Fülle des Lebens.
– Mein Körper heilt und erneuert sich.
– Mein Geist ist klar und fokussiert.
Dein Sankalpa sollte sich für dich wahr anfühlen – wie etwas, das bereits in dir existiert und nur entfaltet werden möchte.
Verankere dein Sankalpa im Alltag
Damit dein Sankalpa Wurzeln schlagen kann, integriere es in deine tägliche Praxis. Sprich es am Morgen beim Aufwachen, schreibe es in dein Tagebuch oder wiederhole es vor dem Schlafengehen. Besonders kraftvoll ist die Verankerung im Zustand tiefer Entspannung – zum Beispiel in Yoga Nidra: Während du in Yoga Nidra zur Ruhe kommst, sprich dein Sankalpa zunächst bewusst aus. Nach der Visualisierungsphase, wenn dein Geist still und empfänglich geworden ist, wiederhole es erneut. In diesem Moment sinkt es tief in dein Unterbewusstsein – dorthin, wo echte Veränderung beginnt.
Ist der Geist ruhig, kein Kshipta oder „Affengeist“, dann wird dieses Gelübde zu einer gefühlten Wahrheit in deinem Körper und deinem Herzen. In diesem Raum der Stille, frei von den üblichen Zweifeln und mentalem Geschwätz, wurzelt die Absicht ganz natürlich und mit klarer Absicht.
Bleib auf deinem Weg
Es wird Momente geben, in denen du dein Sankalpa vergisst oder dich von alten Mustern mitreißen lässt. Das ist Teil des Prozesses. Statt dich dafür zu verurteilen, sieh es als Gelegenheit zur Rückkehr. Beobachte, was dich abgebracht hat, und stelle dir vor, wie du stattdessen aus deinem Sankalpa heraus hättest handeln können. Spüre diese Möglichkeit in deinem Körper.
Erinnere dich: Dein Sankalpa ist keine ferne Vision, die du erst erreichen musst. Es ist bereits in dir – wie ein Same, der mit der richtigen Aufmerksamkeit wächst. Jedes Mal, wenn du dich daran erinnerst, wächst seine Kraft und wird zu einem lebendigen Teil deines Weges. Wenn du dein Sankalpa empfangen hast, wirst du feststellen, dass es dich immer weiter in eine Richtung führt, die du vorher vielleicht nichtmal auf deiner Landkarte hattest.

Seminare für Yoga Nidra findest du hier:
Die kommenden Festtage findest du in unserem spirituellen Kalender:

Die Autorin hu:
Vor mehr als 20 Jahren zwang mich eine schwere Krankheit dazu, meinen vorgedachten Pfad als Filmemacherin und Autorin zu verlassen und neue Wege zu finden und zu gehen. Diese Reise führte mich zu Heilern und spirituellen Lehrern, zu Hexen, Schamanen, ins Zen-Kloster und in die Einsiedelei. Durch meine Erfahrungen habe ich gelernt, dass wahres Verstehen und Erkennen nicht im Kopf stattfindet, sondern das ganze Wesen, das ganze Sein erfüllt. Seit September 2022 bin ich Sevaka bei Yoga Vidya. 🌻 hu