Die Bhumikas sind Stufen zur Erleuchtung, welche die Entwicklungsstufen zum Erwachen beschreiben. Sie können uns wertvolle Anhaltspunkte geben, um eigene Fragen, Zweifel, Erfahrungen usw. besser verstehen und einordnen zu können. Sie helfen uns auch, das Ziel nicht aus den Augen zu verlieren und dienen als Wegweiser, wenn wir mal vom Weg abgekommen sind, an einer Kreuzung nicht weiter kommen oder vor Hindernissen stehen. Ein Artikel Auszug von Sukadev Bretz.
Das Konzept der Bhumikas
Das Konzept der Bhumikas stammt aus dem Yoga Vasishtha, einem Lehrgespräch des Lehrers Vasishtha mit Rama. Es beschreibt die Phasen des spirituellen Erwachens und behandelt die Frage nach einem tieferen Sinn hinter den alltäglichen, äußeren Aktivitäten.
Es thematisiert auch die Phase, in der man beginnt, ernsthaft zu praktizieren und sich auf den spirituellen Weg zu begeben, und welche Erfahrungen sich dabei und auf den folgenden Stufen einstellen können.
Die erste Phase, Shubheccha – Die Sinnsuche
Die erste Phase (Shubheccha), beschreibt wie Rama, der Schüler, ein Königssohn, plötzlich erkennt, dass die Menschen im Königreich, das er von seinem Vater übernehmen soll, im Laufe ihres Lebens durch verschiedenes Leid hindurch gehen. Als Mensch wird man unter Schmerzen geboren, wächst heran, geht durch schwierige Phasen in der Pubertät. Danach muss er sich um seinen Lebensunterhalt und die Familie kümmern. Krankheiten kommen und schließlich stirbt man.
Das stürzt Rama in eine tiefe Sinnkrise und Depression. Er befragt den Weisen Vasishtha, der ihm erklärt, dass kein Grund zur Verzweiflung besteht, sondern dass solche Fragen nach dem Sinn des Lebens ein Zeichen für das spirituelle Erwachen sind. Anschließend erklärt er ihm die Stufen des spirituellen Wegs, die zu Erkenntnis, Erleuchtung, führen.
Die zweite Phase, Vicharana – Die Bewusstseins Praxis
In der zweiten Etappe des spirituellen Weges (Vicharana) geht es nun darum ein bewusstes Leben zu führen und einer regelmäßigen Übungsdisziplin zu folgen, um automatischen Identifikationen und Anhaftungen an das Gewohnte, die äußeren materiellen Umstände, allmählich zu überwinden und zu transzendieren.
Dabei gibt es Hochphasen, wo alles ganz leicht und schön erscheint – man schwebt aus der Yogastunde wie auf Wolken, in der Meditation hat man wunderschöne Erfahrungen von Freude, Herzensöffnung, Liebe, das Gefühl, die ganze Welt umarmen zu wollen. Aber auf diese Hochphasen folgen auch solche, wo wir wieder zweifeln. Wo wir das Gefühl haben, das ganze Yoga oder was immer wir sonst üben, hat doch gar keinen Sinn, und vorübergehend wieder zurückfallen in alte Gewohnheiten.
Aber dann merken wir schnell: Nein, das kann es nicht sein. Das kann nicht alles sein. Nur Essen, Trinken, Beziehung, ab und zu in den Urlaub fahren, Karriere machen – das allein befriedigt mich nicht! Es bleibt die innere Sehnsucht nach etwas Höherem.
Und dann kehren wir wieder zurück zu unserer Übungsdisziplin, gehen wieder regelmäßig in die Yogastunden, meditieren usw. Die meisten, die sich für Yoga, Meditation und andere spirituelle Disziplinen interessieren, sind auf diesen ersten beiden Stufen. Das kann eine ganze Weile, viele Jahre oder oft sogar das ganze Leben lang so sein. Aber wenn wir beständig weiter üben, werden wir innerlich immer ruhiger und gelassener.
Nach und nach kommen mehr Erkenntnisse und irgendwann erfahren wir: Ja, ich habe diesen Körper, diese Gedanken, diese Gefühle, um mich damit in der Welt auszudrücken. Aber ich bin sie nicht. Ich bin in meinem tiefsten Wesenskern reines Bewusstsein, unveränderlich, ewig, eins mit allem. Wenn wir in diesem Bewusstsein dauerhaft verankert sind, befinden wir uns in Tanumanasa, der 3. Stufe der Evolution oder Erleuchtung.
Die dritte Phase, Tanumanasa – Der ausgedünnte Geist
Tanu heißt ‚dünn‘ und Manas ist der Geist im Sinne von Gemüt, Psyche, Emotionen und meint in diesem Fall besonders unsere automatischen Reiz-Reaktionsketten, Prägungen, vorgefassten Meinungen, Identifikationen – das ganze Gedankenkarussell, dass sich normalerweise den ganzen Tag in unserem Geist abspielt.
Tanumanasa ist ein „Schlank-Machen des Geistes“ in dem Sinn, dass diese instinktiven, oft irrationalen Gedanken- und Verhaltensmuster mehr und mehr reflektiert, beherrscht und gelenkt werden. Und das führt natürlich zu einer tiefen inneren Ruhe, einem großen Gleichmut (nicht Gleichgültigkeit!) gegenüber den sich ständig verändernden äußeren Umständen und Situationen.
„Ausgedünnt“ heißt nun nicht, dass man etwas beschränkt, im Gegenteil! Man kann hoch intelligent sein und seine Fähigkeiten stark weiter entwickelt haben. Es bedeutet vielmehr, dass der Geist durchlässig geworden ist und wir Zugang zu unserem inneren Selbst haben. Bei Tanumanasa wird der spirituelle Weg nicht nur spannend, ein aufregendes Abenteuer erfüllt mit Siegen und Niederlagen wie auf der Stufe zuvor, sondern hier wird der Weg besonders schön.

Charakteristisch für diese Phase ist, dass man in jeder Meditation regelmäßig den Dhyana-Zustand erreicht, also die vollständige Absorption, ohne konkrete Gedankeninhalte.
Die meisten Menschen bewegen sich in der Meditation zwischen Asana, Pranayama, Pratyahara und Dharana: Manche arbeiten noch an der Sitzhaltung, manche mehr am Atem, manche versuchen immer wieder, den Geist zurückzubringen wenn er denkt, der Raum ist zu kalt oder zu warm, oder was muss ich nachher noch erledigen usw. Und immer wieder bemüht man sich um Konzentration.
Dhyana hingegen ist, wenn wir in die Meditation hinein fallen und es schön ist. Hier sitzt man konzentriert ohne Anstrengung, ganz leicht. Es sind Glückserfahrungen da. Vielleicht sieht man innerlich wunderschöne Lichter, hört subtile Klänge oder spürt ein Gefühl von Energie, Liebe und Geborgenheit.
Auch auf der vorhergehenden Stufe, Vicharana, kann man das ab und zu mal spüren, aber auf Tanumanasa geschieht es regelmäßig.
1. Ananda und Prema – Wonne und Liebe
Auf Tanumanasa wird man stark erfüllt von Ananda, Wonne, und Prema, Liebe. Nicht vollständig und nicht dauernd, aber doch stark zwischendurch. Man hat in der Meditation Zugang zu dieser inneren Liebe oder der Verbindung zum Göttlichen – dies erstreckt sich dann auch in den Alltag. Wenn man hingegen nur in der Meditation schöne Erfahrungen hat, sich aber über alles Mögliche ärgert und aus dem Gleichgewicht kommt, sobald man die Augen aufmacht oder die Wohnung verlässt, dann war die Meditation zwar schön, aber auf Tanumanasa ist man noch nicht.
2. Intuition
In der Tanumanasa-Phase wird die Intuition stark und zum wichtigen Entscheidungsmittel. Jeder Mensch hat eine Intuition, und trifft eine Menge Entscheidungen intuitiv. Der Unterschied ist: Auf den vorherigen Bewusstseinsstufen kann die Intuition uns in eine richtige, aber auch in eine falsche Richtung führen. Die Intuition kann zum Beispiel gefärbt sein durch eigene unbewusste Inhalte, durch Wunschdenken, Projektionen usw. Sie muss dann durch Hinterfragen geprüft und ergänzt werden: War es wirklich meine Intuition oder vielleicht nur ein Wunsch, den ich hatte? Hat ein Gespräch mit jemandem mich dahingehend unbewusst beeinflusst? Oder ist es eine uralte Sehnsucht, die eigentlich schon überholt ist, aber jetzt nochmal an die Oberfläche kommt?
In Tanumanasa übernimmt die Intuition die Hauptfunktion. Man hat durch die Praxis und ein achtsames Leben über einen langen Zeitraum sein Gemüt weitgehend gereinigt, sodass der Geist nun wie ein reiner Kristall das spiegeln kann, was tatsächlich ist, ohne subjektive Färbungen.
3. Das Gute mögen
Tanumanasa ist auch ein Gemütszustand, indem man mag, was einem gut tut, auch wenn es nicht immer angenehm ist. Manchmal wissen wir, was gut für uns ist, z.B. die Reduktion an Mengen von Zucker, Fett, Nikotin oder Kaffee. Aber wir halten gleichzeitig das, was uns nicht gut tut, trotzdem für angenehm. Oder wir stehen vor der Wahl die Wahrheit entweder ein bisschen so zu verdrehen, das wir uns damit einen deutlichen Vorteil verschaffen können, oder bei der Ethik zu bleiben und unter Umständen auf einen materiellen Vorteil zu verzichten. Es kommt dann auf unsere Entscheidung drauf an: Geben wir dem Drang wider besseren Wissens nach, oder gelingt es uns unseren Vorsätzen treu zu bleiben.
Ist man auf der Tanumanasa-Ebene fest verankert, hat man keine Wahl mehr. Gegen die Ethik zu verstoßen, würde gegen jegliches Gefühl, auch gegen jedes subjektive Mögen, gehen. Raga, das Mögen, richtet sich auf das Gute, und zwar nicht nur auf das Gute für mich persönlich, sondern auf das Gute in einem umfassenden, universellen Sinn. Man ist in Einklang mit den Naturgesetzen, den universellen Gesetzen des Kosmos, und kann gar nicht mehr dagegen handeln.
4. Hochmut kommt vor dem Fall
Tanumanasa ist schon ein recht hohes spirituelles Stadium. Wer dauerhaft darin verankert ist, ist ein spiritueller Meister, eine Meisterin. Dabei gibt es zwei Hauptgefahren: Erstens, dass man sich mit diesem erhabenen Zustand identifiziert und sich etwas darauf einbildet (Man fühlt sich dann besser als andere – alles geht so leicht, man hat das Gefühl, die anderen sind noch nicht so weit und man fühlt sich als der Größte).
Und zweitens, dass man meint, man hätte das höchste Ziel schon erreicht und aufhört, weiter zu praktizieren. In der Meditation hat man Visionen, man fühlt sich in der Nähe Gottes. Aber damit ist es nicht getan. Der Weg geht weiter. Das ist manchmal das Problem, wenn jemand ohne tiefere Kenntnis in einen vorübergehenden Tanumanasa-Zustand kommt und dann nicht versteht, dass das noch nicht die höchste Verwirklichung ist.
Auf dieser Ebene ist es also wichtig, bescheiden zu bleiben, liebevoll, verständnisvoll und tolerant mit anderen umzugehen, um Führung zu beten und intensiv weiter zu praktizieren. Sich bewusst zu machen: Alle sind das unsterbliche Selbst, nicht nur ich. Momentan mag ich das besonders erfahren, als einen Segen und eine Gnade, aber ich weiß nicht, ob es weiterhin so bleiben wird. Derjenige, auf den ich jetzt hochmütig herabschaue, kann seine Schwierigkeiten vielleicht bald überwunden haben und dann die nächsten Schritte um so schneller machen.
Die vierte Phase, Sattvapatti – Das Erlangen der Reinheit
Die nächste Bewusstseinsebene ist Sattvapatti („Erlangen (āpatti) der Reinheit (sattva)”). Hier erreicht man in der Meditation den Savikalpa Samadhi Zustand, das heißt, Überbewusstsein mit Dualität.

In Savikalpa Samadhi verschmilzt der Meditierende mit dem Objekt der Meditation. Es ist ein Absorbiert-Sein in der Meditation, mit noch viel größerer Wonne als in Dhyana. Gleichzeitig besteht aber noch eine gewisse Dualität, d.h., es ist „jemand“ da, der sich bewusst ist: „Ich erfahre diesen wonnevollen Zustand“. Es gibt ein „Ich“ und einen „Wonnezustand“, es gibt ein „Ich“ und das „Unendliche“. Es gibt die Erfahrung, dass wir eins sind, aber es ist noch nicht die reine Einheit.
1. Siddhi – ein Zeichen für spirituellen Fortschritt?
Auf Sattvapatti erwachen die Siddhi, die sogenannten übernatürlichen Kräfte. Sie sind nicht wirklich übernatürlich: man ist mit seinem Bewusstsein einfach eingeschwungen auf die Essenz der ganzen Schöpfung. Damit manifestieren sich auf natürliche Weise Dinge, die auf einer rein materiellen Bewusstseinsebene als „übernatürlich“ oder als „Wunder“ erlebt werden.
Große Meister können alles Mögliche manifestieren. Aber nicht jeder, der parapsychologische Fähigkeiten hat, ist deswegen ein Meister. Wenn jemand außergewöhnliche Kräfte hat, heißt das noch lange nicht, dass er sich auf der Sattvapatti- Ebene befindet. Aber jemand in Sattvapatti hat fast notwendigerweise außergewöhnliche Fähigkeiten. Da gilt es, diese Siddhi nicht zu missbrauchen für eigene Vorteile oder um andere zu manipulieren, sogar sie noch nicht einmal bewusst einzusetzen. Zwar kann ein Meister es gar nicht vermeiden, dass außergewöhnliche Dinge geschehen in seiner Gegenwart, aber er sollte nicht denken, „ich habe das jetzt gemacht“, und er sollte sie nicht zur Schau stellen.
Ein Meister wird normalerweise seine Siddhi nicht bewusst einsetzen. Denn wenn er es zu viel tut, verbraucht er zum einen sein Prana, seine Energie, zum anderen identifiziert er sich wieder, und zum Dritten denkt er, er müsse den Gang der Weltgeschichte ändern. Wenn man auf dieser Ebene demütig bleibt, die Siddhi nicht missbraucht und weiter praktiziert, kommt man zur nächsten Bewusstseinsstufe, Asamshakti.
Die fünfte Phase, Asamshakti – Losgelöst von Shakti
Asamshakti bedeutet wörtlich „Nichtberührtsein“. Das heißt nicht, dass man in diesem Zustand wie ein gefühlloser Stein ist. Im Gegenteil: MeisterInnen haben ein Herz wie Butter. Es schmilzt beim Leiden anderer. Aber man ist nicht persönlich berührt von persönlichem Erfolg oder Misserfolg, sondern mehr verbunden mit dem Höchsten. Man empfindet auch nicht nur persönliche Liebe, sondern mehr eine überpersönliche, allumfassende Liebe, und das Mitgefühl mit allen Wesen und der ganzen Schöpfung.
In der fünften Phase befindet man sich ebenso in Nirvikalpa Samadhi, dem überbewussten Zustand ohne Dualität. Man hat die Selbstverwirklichung erreicht, die vollkommene Einheit mit allem; man ist erwacht, erleuchtet.
Man besitzt das Doppelbewusstsein. Wenn man aus der Meditation heraus kommt, sieht man die Welt wie andere auch, aber man hat gleichzeitig und jederzeit auch das Bewusstsein der Einheit hinter allem. Man ist ein sogenannter Jivanmukta, eine, noch in diesem Körper, befreite Seele.

Wie sich das dann äußert, ist verschieden. Es äußert sich je nach individueller Persönlichkeit des Menschen und je nach der Aufgabe, die er im Leben zu erfüllen hat. Manche führen ein ganz normales Leben und unterscheiden sich nicht von anderen Menschen. Außer, dass sie besonders viel Freude ausstrahlen, besonders liebevolle Menschen sind. Andere werden zu spirituellen Lehrern und großen Meistern/Meisterinnen, entweder im kleinen Rahmen mit einigen Schülern oder im großen Stil mit mehr Schülern. Manche ziehen sich auch zurück und meditieren in Einsamkeit.
Die sechste Phase, Padarthabhavani –
In der Phase von Padarthabhavani verschiebt sich das Doppelbewusstsein, indem man gleichzeitig in der Welt und in der Einheit ist, nun mehr ins Subtile. Das heißt, der Meister/die Meisterin ist sich hauptsächlich der Einheit und weniger seines einzelnen Körpers bewusst.
Auf dieser Bewusstseinsstufe ergreift der Mensch von sich aus selbst keine Initiative mehr. Wenn man ihn um etwas bittet, macht er es, und falls nicht, handelt er nicht. Gibt man ihm etwas zu essen, isst er. Gibt man ihm nichts zu essen, isst er nicht.
Im Normalfall geschieht Padarthabhavani gegen Ende des Lebens, wenn das relative Karma, das mit dieser Einzelexistenz noch verbunden war, zu Ende ist. Diese Phase dauert typischerweise auch nur sehr kurz.
Auf eine weniger spirituelle Weise haben das ja auch viele alte Menschen. Zwar nicht im Sinne der unendlichen Wirklichkeit, aber irgendwann, wenn das Karma weitestgehend aufgebraucht ist, haben sie keine Wünsche mehr, irgendetwas in der Welt zu bewirken oder etwas zu tun.
Die siebte Phase, Turiyaga – Der Zustand der Befreiung
Schließlich folgt Turiya, die letzte Stufe. Das Karma ist hier praktisch ganz aufgebraucht. Das Bewusstsein ruht vollständig im Unendlichen und verlässt den Körper. Turiya mündet in Mahasamadhi, dem großen Samadhi, das Aufgehen im absoluten Bewusstsein, das Einswerden mit dem Ursprung, dem Absoluten. Die Seele ist frei und eins mit allem, für immer.
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