73 Gelassenheit durch Verständnis, Einfühlungsvermögen und Mitgefühl

Um gelassener mit deinen Mitmenschen umgehen zu können, sind Einfühlungsvermögen, Mitgefühl und Liebe wichtig. Es geht hier also um liebevolle Gelassenheit, engagierte Gelassenheit – nicht kalte, gefühllose Gelassenheit. Sukadev gibt dir ein paar Tipps: (1) Wenn du einen Menschen triffst, grüße ihn mit echtem Gefühl. Wenn ihr wieder auseinander geht, grüße den anderen wiederum. (2) Verbinde dich jeden Tag von ganzem Herzen mit den 3-10 wichtigsten Menschen, am besten morgens – entweder als Teil deiner Meditation, vor deiner Meditation, oder als Meditation. Oder auch einfach so. Im Umgang mit deinem Partner gilt das auch: Bevor ihr euch am Abend viel erzählt, fragt, Aufgaben verteilt, nehmt euch 1 Minute schweigend in den Arm und fühlt euch vom Herzen her. Genauso mit den Kindern: wenn du deine Kinder am Nachmittag/Abend siehst, nimm dir eine Minute, um sie vom Herzen her zu spüren. Gib der Liebe eine Chance. (3) Sieh die Welt aus den Augen eines anderen. Versuche zu verstehen, zu spüren, wie der/die andere “tickt”, also wahrnimmt, denkt, fühlt. Höre die Lebensgeschichte des anderen an. Erzähle deine eigene Lebensgeschichte: Jeder lebt in seiner eigenen Welt – jede Welt ist faszinierend, aber nicht ganz verstehbar. (4) Gehe davon aus, dass jedes Verhalten in einem bestimmten Kontext sinnvoll ist oder war – Ausdruck von legitimen Bedürfnissen ist (5) Lebe mal mit der Arbeitshypothese: Menschen tun alles auch deshalb, um Liebe zu schenken und/oder um Liebe zu bitten. Sie tun es manchmal auf sehr verquere Weise – und manchmal bitten sie um die Liebe von jemandem, der gar nicht mehr in seinem Körper ist (z.B. Vater/Mutter). Es fällt leichter, mit einem Menschen umzugehen, wenn man ihn als liebevoll erlebt, oder eben auch als liebevoll (6) Denke über ein paar “paläoanthropoligische” Hypothesen nach: Heutiges menschliches Verhalten ist erklärbar aus dem, was in der Steinzeit sinnvoll war: In der Steinzeit waren Angst, Ärger, Neid wichtige Kraftgeber, welche das Überleben des einzelnen gesichert haben. Und es gab eine “Aufgabenteilung”: Dadurch dass es in jedem Stamm mindestens einen hypersensiblen, z.T. fast paranoiden Menschen gab, der jede Gefahr schon von weitem erahnte, konnten manche andere im gleichen Stamm entspannt die Schönheit genießen. Bringe also den “Paranoiden” Wertschätzung entgegen – sie tragen die Gene in sich, welche das Überleben deiner Vorfahren gesichert haben. Und sie sind auch jetzt wertvoll: Sie warnen vor allen möglichen Gefahren. So haben Optimisten ihren Platz: Sie wagen viel – und erfinden Neues. Und die Pessimisten: Sie warnen vor Gefahren – und sie treffen so wichtige Vorkehrungen zur Gefahrenabwehr. So sind Ordnungsfreaks und Regelfanatiker wichtig – sie helfen, dass die Regeln, unter denen alle leben wollen, eingehalten werden. Und die Rebellen sind wichtig – sonst würde alles starr werden und bei Änderungen in der Umgebung kollabieren – oder Diktatoren hätten leichtes Spiel. Mit diesen – und anderen – Techniken entwickle Liebe, Mitgefühl, Verständnis – und Humor gegenüber anderen und auch dir selbst. (7) Ein guter Ansatz für Wertschätzung anderer ist auch die Dosha-Lehre aus dem Ayurveda: Es ist gut, wenn in jedem Team jedes Dosha vertreten ist: Die Vata Menschen haben die Ideen, die Pitta-Menschen priorisieren und setzen die wichtigen Ideen um, die Kapha Menschen sorgen dafür, dass das Bewährte weiter gemacht wird, es gemütlich-menschlicher zugeht, niemand am Burnout leidet – und dass es langfristig gut weitergeht.
73. Ausgabe des Yoga Vidya Gelassenheits-Podcast von und mit Sukadev Bretz, Gründer und Leiter von Yoga Vidya. Mitschnitt aus einem Seminar “Gelassenheit entwickeln” bei Yoga Vidya Bad Meinberg.
Podcast: In neuem Fenster abspielen · Herunterladen
Subscribe: RSS
***
Das [siehe oben] ist also die Kurzzusammenfassung des folgenden Textes. Du kannst gespannt sein, mit einigen Anekdoten gewürzt, wird das sehr, sehr praxisnah werden.
Ich will heute darüber sprechen, wie man durch Einfühlsamkeit, Mitgefühl, Liebe gelassener sein kann. Obgleich man fast sagen muss, jetzt die Liebe in den Dienst der Gelassenheit zu stellen, ist eine Umkehrung von dem, wie man es eigentlich sehen kann, aber das Thema ist ja „Gelassenheit entwickeln“. Und eine Übung, die ihr gerade eben gemacht habt, ist eine, von der ich sehr, sehr viel halte. Jeden Tag mit jedem Menschen, der für euch in den nächsten Tagen von besonderer Wichtigkeit ist, eine Herzensverbindung herzustellen, in der Art, wie wir es gerade gemacht haben oder so wie ihr denkt, dass es für euch passt. Der Mensch hat die Fähigkeit, sich einzufühlen in den anderen. Das ist eine der großartigen Fähigkeiten des Menschen. Der Mensch hat die Fähigkeit, vom Fühlen her, vom Intuitiven her, andere zu verstehen. Und wenn man andere vom Intuitiven versteht, geht vieles leichter. Vom Yogischen her würde man sogar sagen, das ist nicht nur irgendeine Funktion im Hirn, dass man das alles gut deutet, sondern es besteht tatsächlich eine Energieverbindung und telepathische Verbindung, wie es die meisten von euch kennen. Man denkt an einen Menschen und im nächsten Moment ruft der an, oder es geht einem schlecht, prompt ruft Mami an. Also, bei mir ist das immer so, wenn es irgendwo schwierig ist, ich kann sicher sein, am gleichen Tag wird die Mutter anrufen, die spürt das irgendwo.
Es gibt diese Verbindung und diese Verbindung können wir auch zu jedem Menschen herstellen. Daher mein Tipp, man kann einfach morgens, z.B. vor seiner Meditation oder statt seiner Meditation oder als Meditation, sich einfach hinsetzen und dann denkt man erst an den einen und da reichen ein paar, eins, zwei, Atemzüge und man spürt ihn oder sie. Dann denkt man an den anderen eins, zwei Atemzüge, an den nächsten usw. Das ist die Kurzform. Die längere Form haben wir eben gemacht. Es gibt natürlich noch längere Formen, indem man über den anderen irgendwo versucht, dann auch nachzudenken. Aber die einfachste Form ist oft die beste, einfach jeden Menschen, der wichtig ist, mindestens kurz spüren, Herz zu Herz Verbindung. Natürlich, in der Partnerschaft kann man das auch verbinden mit einer Umarmung. Nicht gleich nach Hause kommen und als erstes sagen, „ach, hatte ich heute einen Tag“ und los reden. Und der andere hat als erstes Fluchtgedanken: „Raus hier. Schnell vor den Computer. Schnell Fernseher an oder schnell irgendwas anderes tun.“ Sondern das erste, was man machen kann, ist einfach, sich umarmen und schweigen und Herz zu Herz spüren. Und prompt ist eine Verbindung da und dann spürt man nachher, was man erzählen kann, ohne den anderen zu überfahren und zu überlasten.
Man kann das auch mit denen machen mit denen man nicht so gut kann, eben in sie hinein spüren. Man kann das grundsätzlich mit jedem Menschen machen. Jetzt einfach erst mal ein Beispiel: Auch wenn ihr nach Hause kommt, auch zu Kindern, könnt ihr erst mal, bevor ihr mit ihnen gleich sprecht, erst mal von Herz zu Herz spüren, Liebe sprechen lassen. Diese fünfzehn bis dreißig Sekunden oder fünf bis sieben Sekunden für Vielbeschäftigte, die man wartet, bevor man in Kommunikation tritt und bevor man überlegt, was Kind alles falsch gemacht hat oder was man sagen will oder wofür man es loben will oder was man sonst noch für gemeinsame Aktivitäten machen will, erst mal Herz zu Herz Verbindung herstellen. Das kann man jeden Morgen sowieso machen, dann macht man es in jedem Fall, nimmt diese dreißig Sekunden bis drei Minuten und das erleichtert vieles. Ich kann hier gerade mal eine kleine Anekdote erzählen, die mich zu dieser Übung geführt hat. Das ist schon eine ganze Weile her.
Es war das erste Mal als ich einen Ashram geleitet hatte. Man denkt oft, Ashram ist ein Ort des Friedens und Menschen gehen liebevoll und freundlich miteinander um und vermutlich, im Verhältnis zu dem, wie es sonst in Firmen zugeht, ist das in jedem Fall richtig. Aber auch Menschen mit hohen Idealen und Idealisten und Individualisten zusammenzubringen, ist immer eine besondere Herausforderung. Und die machen auch nichts, nur um den Arbeitsplatz zu erhalten, sondern denen geht es ums Prinzip, dafür sind sie ja da. Sie wollen selbst das Höchste erreichen und sie wollen selbst tun, was in ihrem Herzen ist und sie wollen Gutes tun in dieser Welt. Gut, jetzt diese Individuen zusammenzubringen, ist manchmal sehr einfach, es ist sehr befriedigend mit solchen Menschen zusammenzuarbeiten, die auch direkt sind und nicht irgendwas sagen und hinterrücks was ganz anderes tun, aber es kann auch schwierig sein. Es gab mal eine Phase, das war als ich erstmals einen Ashram geleitet habe, da war das irgendwo schwierig. Und dann kam dann so ein älterer Swami aus Indien und den habe ich mal gefragt: „Was kann ich denn machen?“ Und dann hat er mir gesagt: „Concentrate.“ Da habe ich gefragt: „Was meinst du mit Concentrate?“ Dann hat er gesagt: „Concentrate your heart with the heart of each one which is important. Konzentriere dich auf jeden, der dort im Ashram wichtig ist.“ Das war damals jeder Sevaka im Ashram, das waren nicht so viele. „Jeden Tag spüre eine halbe Minute lang am Tag das Herz von jedem, der da ist.“ Mehr hat er nicht gesagt. Und dann: „See the miracle happening. Sieh, wie das Wunder passiert.“ Und es war wie Magie, nach ein paar Tagen lief alles besser. Sogar, die andern gingen untereinander liebevoller miteinander um. Das hat ausgereicht, dass einer die Herzensverbindung bewusst herstellt jeden Morgen. Gut, dann habe ich das auch mal zum Thema gemacht und dann geht vieles leichter. Das funktioniert nicht nur im Ashram, es funktioniert auch in der Familie, funktioniert auch mit Chefs und Kollegen, mit denen man sich nicht versteht, egal, wer es ist. Also, diese Übung möchte ich euch besonders ans Herz legen.
Eine zweite Sache, es gibt eine schöne Sache, wenn man Menschen trifft, was macht man als erstes? Man grüßt sie. Und da steckt viel spirituelle Weisheit drin. Das Problem ist, die meisten Menschen grüßen halbherzig: „Tach, Moin, Grüezi, Hallo.“ Das kann man machen, nur man sollte sich bewusst sein, das sind eigentlich alles hoch spirituelle Grüße. Hier sagen wir oft: „Om Namah Shivaya. Grüße an das Göttliche in dir.“ „Namah“ heißt „Ehrerbietung an“, Shiva heißt eigentlich liebevoll und gütig und glücksverheißend. Und „Om Namah Shivaya“ – „Ich grüße dich, der du glücksverheißend und tief im Inneren Liebe und Güte bist“. Wenn man irgendwie neu diese Ausdrücke gebraucht, dann macht man es mit mehr Gefühl, man überlegt auch: „Was erzähle ich da überhaupt?“ Aber wenn man lange genug das macht, irgendwann kann man es genauso mechanisch sagen wie „Tach“ oder „Moin“. Man kann aber das „Om Namah Shivaya“ immer mit Ehrerbietung sagen und natürlich, ich vermute, in euren Kontexten werdet ihr nicht am Montag zu eurem Chef gehen und sagen: „Om Namah Shivaya.“ Aber man kann sagen, „Grüß Gott“, wenn ihr aus Süddeutschland seid, und das wirklich auch so meinen: „Ich grüße das Göttliche in dir.“ Oder: „Guten Tag.“ Man kann wirklich sagen: „Ich wünsche dir einen guten Tag.“ Auch „Hallo“. „Hallo“ kommt aus dem Englischen und kommt von „Hail Lord“. Und das heißt: Hail – Gruß und Lord heißt Gott. Grüß Gott. Also, man könne sagen, eine Übersetzung von „hallo“ ist „Om Namah Shivaya“. Oder umgekehrt, „Om Namah Shivaya“ ist die Übersetzung von „Hallo“ im Sinne von „Hail Lord“. Oder auch „Tschüss“, wisst ihr, wo „Tschüss“ herkommt? Spanisch, Adiós. Und das ist wiederum eine Abkürzung von „Ich grüße Gott“. Und „Tschüss“ heißt „ich grüße Gott in dir“. Das Interessante ist, die flapsigen Verabschiedungsformen sind hoch spirituell. Hail – Ich grüße das Göttliche in dir – Hallo – Und ich grüße das Göttliche in dir – Tschüss oder Tschö, das rheinländische „Tschö“ kommt von Adieu, dem Französischen. Gut, also das ist auch etwas Gutes, wenn man jemanden trifft, einen Moment lang, am besten morgens mit jedem eine Verbindung herstellen. Und wenn man jemanden trifft, als erstes einen Moment lang ihm Gutes wünschen und mit ihm oder ihr sich verbinden. Dann geht vieles leichter. „Moin Moin“, das kommt ja aus dem Friesischen und das heißt „Segen“. „Moin“ heißt „Segen“, „göttlicher Segen“ und „Moin, Moin“, „ich wünsche dir doppelt göttlichen Segen“. Das „Moin Moin“ im Friesischen hat nichts mit „Morgen“ zu tun, weshalb man das sehr wohl auch nachmittags und abends sagen kann, denn göttlichen Segen kann man jederzeit gebrauchen. Das ist erst mal eine Grundlage. Der nächste Aspekt ist auch, man kann erst mal davon ausgehen, jeder will von seinem subjektiven Standpunkt aus das Gute. Und wir können auch noch dazu diesen Standpunkt, man kann sagen, diese Arbeitshypothese haben, jedes Verhalten eines Menschen ist auch dadurch motiviert, Liebe zu schenken und um Liebe zu bitten.
Menschen machen das zum Teil ganz verquer und Menschen machen das zum Teil mit großem Verletzen und furchtbarer Gewalt und tun Menschen Schrecklichstes an, aber man kann trotzdem noch entdecken, die beiden Urmotivationen des Menschen sind Liebe schenken und um Liebe bitten. So ein typischer klassischer Konflikt – ich weiß nicht, ob ihr den habt, vielleicht habt ihr gleichberechtigtere Partnerschaften, aber früher war das mal so: Mann geht zur Arbeit und macht Überstunden. Warum macht er die Überstunden? Um seiner Familie Liebe zu geben. Er verdient dort etwas mehr Geld, er bekommt dabei etwas mehr Mittel, dann kann er anschließend seiner Frau etwas Schöneres kaufen, kann für die Familie besseren Urlaub ermöglichen, ein größeres Haus ermöglichen und die sagen ja alle, dass sie für alles Mögliche Geld haben wollen, also geht er länger ins Büro. Die Frau typischerweise, was denkt sie? „Der liebt mich nicht mehr, bleibt ständig im Büro.“ Sie schimpft den Mann, weil er solange im Büro bleibt. Warum schimpft sie den Mann? Um ihm ihre Liebe zu zeigen. Sie will eben sagen: „Ich liebe dich und ich brauche dich und ich hätte gerne mehr von dir.“ Und auch um Liebe zu bitten: „Ich brauche deine Liebe und zwar nicht in Gestalt von irgendwelchem Geld.“ Jetzt hat man diesen typischen Konflikt, beide wollen eigentlich Liebe zeigen und letztlich auch um Liebe bitten. Mann hofft auch: „Ich bringe mehr Geld nach Hause, das erkennt meine Frau an und dann ist sie freundlich und liebevoll zu mir.“ Vielleicht gibt es in der ein oder anderen Partnerschaft von euch das andersherum, aber es ist diese typische Sache. Wenn man so ein bisschen überlegt und in den Menschen schaut, wird man das meistens feststellen, dass einer Liebe zeigen oder bekommen will. Auch wenn ihr dann einen Chef habt, mag sein, dass er nicht unbedingt euch die Liebe schenken will oder darum bitten will, vielleicht will er die Liebe von jemand anderen.
Manche Menschen wollen die Liebe von ihrem Papa, selbst wenn der schon lange tot ist. Man sagt, dass viel Verhalten von Menschen darin motiviert ist, dass sie hoffen, der Vater sagt irgendwann: „Sohnemann, Tochter, ich bin stolz auf dich, hast du gut gemacht.“ Viele haben das ihr ganzes Leben, sie wollen die Liebe ihres Vaters noch haben, selbst wenn der schon lange tot ist. Manche richten ihr Leben danach aus, worauf ihr Vater stolz sein würde. Es kann manchmal auch helfen, sich dessen bewusst zu werden. Und mein Tipp wäre ja, solltet ihr über achtzehn sein, dann sollte eure Lebensgestaltung nicht von den Vorstellungen eurer Eltern abhängen, denn eure Eltern haben eigentlich nur einen Hauptwunsch. Welcher Wunsch ist das? Die Eltern haben den Hauptwunsch, dass ihr glücklich seid. Eine der wichtigsten Motivationen, wenn nicht die wichtigste Motivation, von Eltern ist, dass die Kinder glücklich sind. Und wenn man seine Eltern glücklich machen will, was muss man nur machen? Glücklich sein. Und ansonsten kann man auch noch den Eltern versuchen, Liebe zu schenken, sie anzurufen, sie besuchen und sich um sie kümmern, wenn nötig, aber nicht sein Leben ausrichten nach den Wünschen der Eltern. Wenn man das 18. Lebensjahr überschritten hat, dann sollte man das nicht mehr tun, das ist nicht notwendig, selbst wenn die Eltern ständig an einem rumnörgeln. Warum nörgelt Mutter und Vater an einem rum und sagt: „Mach endlich mal was Vernünftiges!“ Warum machen die das? Und einen zu ärgern? Die wollen, dass es einem gut geht, sie wollen ihre Liebe zeigen.
Also, wenn Eltern an einem rumnörgeln, zunächst mal, freut euch darüber. Warum sollt ihr euch darüber freuen? Ihr habt Eltern, die euch lieben. Es gibt es sogar so extrem, dass Eltern die Kinder in Gerichtsprozesse verwickeln. Warum machen die das? Auch aus Liebe zum Kind. Das sind die verquersten Geschichten, die es so gibt. Man kann das von der amüsanten, lustigen Seite nehmen, obgleich es für die Betroffenen sehr schwierig ist. Oder es gibt Geschwister, die sich ums Erbe streiten und alles Erbe den Rechtsanwälten vorwerfen. Warum machen die das? Aus Liebe, ja. Gerade wenn Liebe involviert ist, dann wird es oft sehr schwierig. Wenn es eine reine Geschäftsbeziehung ist, dann ist es sehr viel leichter. Aber das erst mal anzuerkennen, manchmal Liebe, manchmal verletzte Liebe, manchmal tragen Geschwister zum Teil lange vergangenes aus, einer meint, die Mutter hat ihn schon im Alter von sieben Jahren benachteiligt gegenüber dem anderen und deshalb will er jetzt nicht dem anderen zwei Prozent mehr vom Erbe der Eltern geben. „Die Liebe muss gleichgestellt werden und dazu brauche ich das.“
Ok, das ist eine Hypothese, die ich euch empfehlen kann, immer von Liebe ausgehen und eben bei Eltern als erstes erkennen: „Ja, es ist toll, ich habe Eltern, denen ich wichtig bin und die sich um mich kümmern wollen und die mir Liebe zeigen wollen und das ist anerkennenswert.“ Das ist der erste Schritt. Der zweite Schritt wäre, sich bewusst zu machen, gerade wenn die Gelassenheit gefordert wird, weil die Eltern einem in den Lebensstil und die Erziehung reinreden wollen – das ist das Allergrässlichste, wenn Schwiegermütter in die Erziehung reinreden wollen, das scheint dermaßen archetypisch zu sein, dass es fast immer vorkommt, sowie jemand Kinder hat, wenn es eine Schwiegermutter gibt, dann gibt es Konflikte, weil die reinreden wollen. Warum wollen die reinreden? Aus Liebe. Die meinen es gut mit ihrem Enkel. Und die meinen es natürlich auch gut mit Tochter und Schwiegertochter und gut mit Sohn. Die wissen natürlich auch, das Wichtigste für die Eltern ist das Wohl ihrer Enkel, also muss natürlich die Schwiegermutter alles tun, dass es dem Enkel gut geht. Wenn ihr Großeltern seid, bitte macht eines nicht, in die Erziehung eurer Kinder reinreden. Das ist sehr wichtig für das Wohlbefinden eurer Tochter, Sohn, Schwiegertochter, Schwiegersohn. Egal, was ihr meint, redet denen nicht rein in die Erziehung. Selbst wenn ihr findet, die machen das ganz grässlich, solange sie nicht gewalttätig sind – ihr versteht was ich meine? Also, bei allem anderen, stützt nur das, was die Eltern tun. Und wenn ihr Eltern habt, die sich einmischen, erkennt wieder, die meinen das liebevoll, das ist das erste. Und das zweite ist, sie mögen es liebevoll meinen und es geht ihnen nur darum, dass es uns gut geht und „am meisten helfe ich ihnen, indem ich mich darum kümmere, dass es uns gut geht“. Dann erkennt man die Intention an, dann kann man auch zuhören, und gegenüber Eltern muss man sich dann auch nicht rechtfertigen. Wenn man erwachsen ist, muss man sich nicht rechtfertigen.
Die Eltern müssen nicht akzeptieren, was man tut, sie müssen es auch nicht verstehen, sie müssen es nicht gutheißen, das müssen sie alles nicht und man braucht es ihnen auch nicht zu erklären. Und man muss auch nicht zum hundertsten Mal erklären, warum man Vegetarier geworden ist, man muss nicht zum zweihundertsten Mal erklären, warum man als Yogalehrer tätig ist, statt einen gescheiten Beruf zu haben. Man kann das einmal erklären. Man kann durchaus entwaffnend sagen: „Ja, ich finde es toll, dass du um mich besorgt bist. Und ich finde es toll, dass du Anteil nehmen willst an meinem Leben. Was macht dein Knie? Wie geht es Tante Else usw.“ Also Ablenkungsstrategie ist häufig dann hilfreich. Anerkennen, der andere meint es gut, man kann es anhören, nicht rechtfertigen und sich irgendwie freuen, man kann sogar in dieser Liebe der Eltern baden, selbst wenn sie sich gerade sehr eigenartig ausdrücken.
Mit der Rechtfertigung beginnen Schleifen. Und die braucht es nicht. Vierzehnjährige müssen erklären, warum sie nicht pünktlich nach Hause gekommen sind. Eltern müssen sich das nicht anhören, sie können auch sagen: „Wir haben es ausgemacht und ich erwarte, dass du das einhältst.“ Aber man selbst, wenn man älter ist als achtzehn, muss man sich nicht rechtfertigen, vor allem, wenn man finanziell selbständig ist. Wenn man nicht finanziell selbständig ist, dann muss man sich vielleicht rechtfertigen, wenn man das Geld zum Fenster rauswirft oder die Eltern das als solches empfinden. Dann haben die Eltern ein gewisses Anrecht, aber ansonsten nicht. Keine Rechtfertigung nötig. Ihr könnt das auch bei euren Kollegen sehen und euren Chefs usw., eine gute Arbeitshypothese, die ich euch auch empfehlen würde, man kann das mal eine Woche bewusst machen. Gut, der nächste Punkt ist, ich sagte, der Mensch hat die schöne Fähigkeit der Empathie, des Einfühlungsvermögens. Durch diese beiden Techniken, die ich genannt habe, eigentlich sind es ja schon drei, also erstens, morgens daran denken, zweitens, bevor man anfängt, zu sprechen, erst mal hinein spüren und dem anderen Gutes wünschen und wenn man natürlich sich verabschiedet, auch dem anderen Gutes wünschen zum Schluss. Dazwischen kann man sich auch auseinandersetzen, kann auch mal konträr sein, Konflikte muss man nicht scheuen, aber wenn da dieses Grundprinzip des Verständnisses da ist, ist es gut.
Das dritte ist, so zwischendurch zu überlegen, oder ihr könnt z.B. am Nachmittag heute oder wenn ihr nach Hause fahrt, überlegen: Wie könnte ich das Verhalten meiner Mitmenschen deuten als Bitte um Liebe und Versuch, Liebe zu schenken? So verrückt die das manchmal ausdrücken, man kann es machen. Nächste Möglichkeit, um die Empathie zu entwickeln, ist, davon auszugehen, jeder lebt in der eigenen Welt und jede Welt ist faszinierend, wenn auch nicht ganz verstehbar. Ihr könnt z.B. sagen: „Ja, mit dem Menschen habe ich so viel Konflikte.“ Es ist eine gute Übung, ihr könnt mal überlegen: Wie tickt der Mensch überhaupt? Eine gute Hilfe könnte dafür sein, ohne dass das in allen Lebenskontexten möglich ist, man kann versuchen, mehr über den anderen herauszufinden. Manchmal kann man auch mal schauen, ob der andere bereit ist, seine Lebensgeschichte zu erzählen. Man kann fragen: „Was ist dir besonders wichtig?“ Das kann man übrigens auch wiederum mit seinem Partner machen, selbst wenn man seine Lebensgeschichte schon kennt, kann man nochmal sagen: „Wir kennen uns ja jetzt schon lange und schon vor fünf Jahren haben wir uns gegenseitig unsere Lebensgeschichte erzählt, die deutet sich ja manchmal anders. Erzähl mir doch noch mal, was vom jetzigen Standpunkt aus wichtig war in deinem Leben.“
Da kommt plötzlich eine Nähe wieder zustande, man versteht den anderen mehr. Man kann das auch mal mit Kollegen machen, wenn man mal zusammen irgendwo hinfährt, irgendwo zu einer Konferenz oder so. Man kann das machen mit seinen Sevakas. Im Gespräch ein bisschen anregen: „Erzählen Sie doch mal etwas über sich.“ Und manche fangen dann an, plötzlich wie ein Wasserfall zu reden. Und manchmal kann man einfach versuchen, mehr über den Menschen herauszufinden. Und dann kann man probieren, die Welt zu sehen mit den Augen des anderen. Übrigens mit der notwendigen Demut. Das Schlimmste, was man machen kann: „Ich verstehe dich ja.“ Was kommt dann? „Aber…“ Preisfrage: Angenommen, jemand erzählt euch das. Wie gut verstanden fühlt ihr euch in dem Moment? So, jetzt weitere Preisfrage: Wer von euch hat das schon mal jemand anderem angetan? „Ich verstehe dich ja, aber…“ Also, zu behaupten, „ich verstehe dich ja“, ist eine Zumutung und ist arrogant. Man kann sagen: „Ich versuche, dich dort zu verstehen.“ Oder: „Ich meine, dein Anliegen dort verstanden zu haben.“ Es gibt ja dann auch diese gewaltfreie Kommunikation unter anderem, wo man erst mal sagt: „Ich habe das so und so verstanden. Hast du das so und so gemeint?“ Dann kann der andere sagen: „Nein, so habe ich es nicht gemeint.“ So könnte man dann nachhaken, aber das ist jetzt kein Kommunikationsseminar, obgleich das auch sehr gute Sachen sind. Aber mindestens, man kann probieren, sich in den anderen hineinzuversetzen. Man ist sich bewusst, das ist Irrtums behaftet, unsere Hypothesen, die wir über den anderen aufstellen. Und man kann auch sich bewusstmachen: Versteht ihr euch selbst wirklich? Ich bin jemand, ich versuche, mich seit vierzig Jahren zu verstehen. Ich bin mir immer noch für Überraschungen gut.
Man ist selbst der beste Selbstunterhalter. Und wenn ich jetzt weiß, und ich bin durchaus jemand, ich nehme mir Zeit, mich selbst zu verstehen, ich führe Tagebuch, ich meditiere, ich habe so viele verschiedene Dinge gemacht, um mich zu verstehen und in so vielen verschiedenen Richtungen und ich bin mir immer noch für Überraschungen gut. Wie könnte ich annehmen, irgendeinen anderen Menschen vollständig zu verstehen? Das wäre unsinnig. Wenn es noch nicht mal mit sich selbst gelingt. Wo man mit sich selbst vierundzwanzig Stunden am Tag zusammen ist und jederzeit seine eigenen Gedanken beobachten kann und sein Verhalten analysieren kann, sich seiner Gefühle bewusst werden kann, Hypothesen ständig testen kann. Aber trotzdem, der Versuch, sich in den anderen hineinzuversetzen, ist eine gute Sache. In diesem Kontext können wir auch wieder von etwas ausgehen: Jedes Verhalten war oder ist in einem bestimmten Kontext sinnvoll und ist Ausdruck legitimer Bedürfnisse, wenn wir es ein bisschen komplizierter machen wollen. Die einfachere Sache wäre, wir gehen einfach von Liebe aus, andere wollen Liebe schenken, um Liebe bitten. Aber wir können noch weiter