Die Hälfte von Navaratri ist schon wieder vorüber. Schon kommen die Pujas für Saraswati, die Göttin der Künste. Und? Ist jetzt alles anders im Ashram? Ist die Luft erfüllt von Festlichkeit? Nein. Alles sieht aus wie immer. Und im Trubel der Herbstferien-Gäste kann man, wenn man will, gemütlich am Fest für die göttliche Mutter vorbei leben.
So ist das eben mit den Festen. Man muss sie feiern, sonst sind sie keine. Also, denke ich mir, nutze ich die Gelegenheit. Auch wenn Navaratri nicht gerade zu den Festen meiner Kindheit gehört. Ich rezitiere das Laksmi Mantra, wenn es mir in den Sinn kommt, Lese Devi Geschichten und gehe, wann immer es geht, zu den abendlichen Pujas. Tatsächlich: Da ist es, das Fest. Und was für eins! Nicht bombastisch, nicht mit Paukenschlag und Trompeten, dafür aber mit umso mehr geprägt von Hingabe, Dankbarkeit und Innenschau. Das Geheimnis von Pujas (wie von allen Ritualen) scheint zu sein, dass man in sie eintauchen muss, um ihre Macht zu entdecken. Dabei geht es gar nicht um das, was nach außen hin passiert. Was passiert innen, in mir drin, mit mir? Da wird es spannend.
Ich könnte angesichts der üppigen Puja mit Rosenblüten und Milch leicht von Frieden, Stille und besonderen Energien erzählen. Nur: Das war es nicht, was mich wirklich berührt hat. Stattdessen kommen mir diese Devi Pujas gerade vor wie ein Turbo-Waschgang für meine ausgeleierte Psyche. Ich beobachte mich selbst und erschrecke ob der negativen Energien, die mitten im feierlichsten Augenblick in mir hochsteigen. Düster, düster. Wie aus einem Vulkan schießen die negativen Gedankenmuster und der Schmutz aus meiner Seele nach oben. Oh je, bin ich das wirklich? Was mache ich da eigentlich die ganze Zeit? Um Himmels Willen, bin ich ein Speicher aus Düsternis? Da sind sie, die Plagegeister, die mir so oft das Leben schwer gemacht haben. Inmitten von Mantren und rituellen Handlungen steigen sie wie kleine feuerspeiende Drachen ans Tageslicht. Ich erschrecke und ekle mich prompt ein bisschen vor mir selbst. Plop, schon wieder ein Quentchen Mißfallen. Und vor meinem inneren Auge löst es sich sogleich in Luft auf. Im nächsten Moment schon ist alles wieder gut. Und alles ergibt auf einmal Sinn.
Am Ende sitze ich da und lausche einer Geschichte von Lakshmi, die mir bisher entgangen war:
Lakshmi kämpft gegen die Dämonen, die mit jedem Tag mächtiger und wütender werden. Aber natürlich: Auch sie ist stark, mächtig und entschlossen. Als es hart auf hart kommt, kommen ihr ihre männlichen Aspekte zu Hilfe – Brahman und Vishnu als Narasimha, dem Löwenmensch und Vahara, dem Eber-Mensch.
Aber ach, wieder kommen neue Dämonen. Ganz besonders bösartig ist jener, aus dessen Blutstropfen immer neue Artgenossen entstehen, sobald sie nur den Boden berühren. Als die Lage schon aussichtslos ist, spaltet sich Lakshmi und neben ihr erscheint Kali, die Zerstörerin. Sie leckt jeden Blutstropfen des Dämons mit ihrer Zunge auf, bevor er überhaupt den Boden berühren kann. Der Lebenssaft der dämonischen Kraft findet keinen Halt angesichts von so viel brutaler Kraft und Unverfrorenheit. Die Kraft des Löwen wütet, die Kraft des Ebers wühlt alle Sümpfe zwischen Erde und Himmel auf. Die Dämonen brennen im Feuer von Wut und Entschlossenheit. Und aus all dem Chaos geht Lakshmi, die Göttin der Fülle und der Schönheit, als Siegerin hervor wie ein nie angetastetes Wesen.
Mir schwant, der Weg zum Erkennen verläuft nicht immer auf so friedlichen und harmonischen Yoga-Pfaden, wie ich immer dachte. Und vermutlich kennt man die Grenzen des eigenen Seins sehr gut, ehe man dem wahren Selbst wirklich näher kommt. Sage noch einer, Feste zu Ehren des Göttlichen seien unterhaltsame Veranstaltungen, um die Götter günstig zu stimmen…
Genauer betrachtet ist das ja Blödsinn mit dem Erschrecken vor den negativen Gedanken. Ist das Erschrecken nicht einfach noch ein weiterer neuer negativer Gedanke, der mich von der Wahrheit – was auch immer das ist – ablenkt? … Und wer bin ich?
Das klingt schon gut, von Kali verschont zu werden. Nur: Wer ist dieses ich, das hofft, von ihr verschont zu bleiben?
Jaya mata Kali – Jaya mata Durga
Ich finde es prima, dass die weiblichen Kräfte der Schöpfung auch mal gewürdigt werden.
Am schärfsten finde ich Kali mit dem abgschlagenen Kopf des Egos in der Hand, das hat Kraft!
In der anderen Hand das blutige Schwert der spirituellen Praxis.
Dem Himmel sie Dank, dass sie zu ihren Verehrern gütig ist, zu denen ich mich auch zähle.
Jaya mata Kali – Bruder Inkarnacion