Wenn der Himmel die Erde küsst…

Mondnacht ist eines der schönsten und tiefgründigsten Gedichte des Romantikers Joseph von Eichendorff (1788-1857).

Seine Vertonung in Form eines Kunstliedes von Robert Schumann wurde von Thomas Mann als „die Perle der Perlen“ bezeichnet. Der lyrische Tenor Peter Schreier hat dieses Kleinod in höchster Vollendung zu Gehör gebracht.



Mondnacht      

 Joseph Freiherr von Eichendorff      

Es war, als hätt’ der Himmel
Die Erde still geküßt,
Daß sie im Blütenschimmer
Von ihm nun träumen müßt'.


Die Luft ging durch die Felder,
Die Ähren wogten sacht,
Es rauschten leis’ die Wälder,
So sternklar war die Nacht.


Und meine Seele spannte
Weit ihre Flügel aus,
Flog durch die stillen Lande,
Als flöge sie nach Haus.                         

Das Gedicht beginnt mit einer großartigen Metapher. Als Fantasie, als Gedankenspiel: „Es war, als hätt´ küsst der Himmel die Erde.“ Das Göttliche verbindet sich in einer Art Liebesakt mit dem Irdischen und vor allem mit den Menschen, die in dieser Welt leben. Atman und Brahman sind in der Welt und wirken als göttliches Licht, als spiritueller Leitstern, als sat chid ananda. In ihren tiefen Träumen ahnen und spüren die Menschen, dass sie nicht allein und verloren auf ihrer Erde leben, sondern dass es eine höhere, ideale, vollkommene Wirklichkeit gibt, was der Dichter poetisch mit „Blütenschimmer“ umschreibt.

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Die Bilder in der zweiten Strophe wie Felder, wogende Ähren, rauschende Wälder, sternklare Nacht bringen die Weite der Naturlandschaft – man achte hier auf die häufig verwendeten Pluralformen – zum Ausdruck. Die sanften Bewegungen in der zweiten Strophe beginnen mit „Die Luft ging durch die Felder“ und enden mit dem unbeweglichen Bild einer sternklaren Nacht, auch hier wieder Weite und Unendlichkeit. In dieser Bewegung und Bewegungslosigkeit ist das Göttliche präsent.

Fast schon schamanisches Gedankengut klingt hier an, für den überzeugten Katholiken Eichendorff im preußischen Staatsdienst aber keine Blasphemie. Im Gegenteil! Die menschliche Seele sucht und findet ihr Heil, ihre Erlösung, ihre Befreiung in der Natur. Sie strebt wie ein Vogel leicht und frei von erdschweren Verhaftungen, der ewigen göttlichen Heimat zu: „Als flöge sie nach Haus.“

Dieser Artikel ist erschienen im Yoga Vidya Journal – Ausgabe Nr. 39
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Über den Autor
Wolfgang Seemann
Lehrer am Gymnasium für die Fächer Deutsch, Französisch und Politik/Sozialwissenschaften. Seit 2007 Yogalehrer. Spielt Gitarre seit 35 Jahren, an der Musikschule Bielefeld mehrere Jahre klassische Gitarre gelernt und hat 25 Jahre in einem Gitarrenorchester gespielt. Außerdem war er 20 Jahre lang selbst als Gitarrenlehrer an der Musikschule von Bad Driburg tätig. Musikalisch beschäftigt Wolfgang sich mit zahlreichen Stilrichtungen: Neben konzertanter Musik auch mit Pop-Musik, Flamenco, Blues und Rock. “Ein besonderes Erlebnis waren für mich die Konzerte mit Sundaram, dessen Art und Weise Mantras zu singen ich besonders schätze.”

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