Yoga Trend des 21. Jahrhunderts – wie sehr sollen Yogalehrer sich verbiegen?

Yoga ist Trend. Und das schon seit einigen Jahren. Dass es einen Yoga-Markt mit vielen Milliarden Euro Umsatz gibt, ist wohl allen Yoga Praktizierenden bekannt. Von farbenfrohen Yogamatte über stylische Yoga-Klamotten bis hin zu Yoga-Trinkflaschen und Yoga-Kalendern gibt es alles, was das Yogi-Herz begehrt.

Und auch die Yogastile sprießen wie Unkraut aus der Erde. Von Hot- bis Naked-Yoga über Power- bis Faszien-Yoga bis hin zu Fahrrad- oder Bier-Yoga, gibt es inzwischen jede mögliche und unmögliche Yoga-Art. 

Soziale Medien sind überlaufen von Yoga-Fotos, Yoga-Seminaren, Yoga-Reisen, Yoga-Blogs usw. Einmal ein paar Yoga-Freunde geadded, vergeht kein Tag mehr, ohne dass Du jemanden siehst, wie er das Asana des Monats auf dem Marktplatz oder einem Felsen macht…

Und auch die Yoga-Ernährung – sei sie vegetarisch oder vegan, lactovegan, rohköstlich oder nur auf Früchte beschränkt – wird zum absoluten Trend, der richtig teure Produkte, hunderte von Kochbüchern und vor allem heiße Diskussionen hervorbringt.

Wenn man mich fragt, finde ich einen Hype um Yoga viel besser, als einen Hype um irgendetwas anderes, weniger positives. Yoga-Produkte sind meist bio und fair trade. Und auch überteuerte Seitan-Würstchen sind tausend mal besser als Rinderwürste aus der Massentierhaltung.

#unity-in-diversity – Einheit in der Vielfalt

Die Gründe, aus denen Menschen zum Yoga kommen, sind genauso mannigfaltig wie die Yoga-Stile, Yoga-Produkte und die Menschen selbst. Bewältigung von Rückenschmerzen oder Stress, Entspannung, Bodyshaping, Kraftaufbau, Beweglichkeit, andere gesundheitliche Aspekte, zur Ruhe kommen oder Zwang durch den Partner oder die Partnerin sind häufig genannte Gründe.

Und dann gibt es noch einige Wenige, die spirituell wachsen wollen…. Das sind meist diejenigen, die in Yoga-Schulen gehen, in denen noch OM und vielleicht sogar ein Mantra zu Beginn der Yogastunde gesungen wird.

Und mitten in all dem finden wir uns als Yogalehrer und fragen uns: Wie weit kann oder soll ich da mit gehen? Soll ich wirklich auf das Om-Singen verzichten, nur damit mehr Teilnehmer kommen? Ist eine 60 Minuten Stunde im Fitness-Studio noch Yoga? Dauert eine richtige Yoga-Stunde nicht wenigstens 90 Minuten?

Was hat die Rückengymnastik, die ich da im Finanzamt in der Mittagspause unterrichte noch mit Yoga zu tun? Und hat es überhaupt einen Sinn, wenn sich scheinbar die allerwenigsten für ihr wahres Selbst interessieren?

Aus welchen Gründen auch immer die Menschen zum Yoga kommen – Yoga wirkt! Darauf können wir uns immer verlassen. Ganz egal, ob sie Om singen oder nicht, ob sie eine klassische Yoga Vidya, Ashtanga, oder Jivamukti-Reihe üben, ob sie die Asanas halten oder dynamisch üben oder einfach nur Rückengymnastik mit Konzentration auf den Atem machen – sie machen Yoga.

Ob eine Yoga-Session zwei Stunden oder 45 Minuten geht, ob im Fitness-Studio oder Yoga-Center, im Meetingraum oder auf Korfu, ob auf der Yoga-Matte oder in Tüchern hängend, in Stille, mit Mantrabegleitung oder mit DJ – alle machen Yoga und es wird eine positive Wirkung auf sie haben und das ist das aller Wichtigste!

Denn wenn unsere Welt eins braucht, dann sind es Menschen, die wieder mehr zu sich finden, mitfühlend mit sich und ihrer Umwelt umgehen und ihre Herzen heilen.

Deswegen finde ich bei all dem eines ganz wichtig: Dass wir Yogalehrer und -lehrerinnen uns immer wieder daran erinnern, was Yoga ursprünglich ist und warum WIR Yoga machen! Machst Du noch Yoga, um mit Deinem wirklichen Selbst in Kontakt zu kommen? Oder machst Du Yoga für Deine Schüler? Oder für Facebook?

Yoga ist Geschick im Handeln

Solange wir Yogalehrer noch in der Bhagavad Gita und den Yoga-Sutras lesen und uns täglich daran erinnern, für was uns Menschen der Yoga ursprünglich gegeben wurde, können wir unsere Yoga-Stunden problemlos so anpassen, dass wir die Menschen da abholen, wo sie stehen.

Natürlich sollte unser Unterricht authentisch sein und wir sollten hinter dem stehen, was wir lehren. Jeder Schüler und jede Schülerin, die mehr in unsere Yoga-Stunden kommen, bedeuten jedoch nicht nur mehr Geld in der Kasse, sondern ein weiteres Herz, das in die Heilung kommen kann.

Somit kann das Anpassen des eigenen Yoga-Unterrichts an die Teilnehmer sehr positiv als Karma-Yoga, also selbstloser Dienst an den Menschen und der Welt, gesehen werden. Denn wie Krishna schon in der Bhagavad Gita sagt:

Yoga ist Geschick im Handeln!

Und dieses Geschick können wir am besten entfalten, wenn wir uns nicht damit identifizieren, welchen Yogastil wir üben oder welche Praxis wir selbst für „richtig“ oder „falsch“ halten. Es ist wichtig, als Yogalehrende/r selbst zu praktizieren.

Im Yoga-Vidya-Yogalehrerhandbuch heißt es: „Teach what you practise and practise what you teach“. Nur kann damit wohl kaum gemeint sein, dass ich meine Anfänger dazu anleite, fortgeschrittenes Pranayama oder die volle Taube zu üben.

Ziel des Yoga ist, unser wahres Selbst zu erkennen

Denn da steht auch, dass die Yoga-Stunde an die Bedürfnisse der Schüler anzupassen ist. Um diesen scheinbaren Gegensatz zu verstehen, müssen wir tiefer in die Praxis hinein schauen. Um was geht es in der Praxis wirklich? Das Ziel des Yoga ist es, unser wahres Selbst zu erkennen und dadurch zu glücklicheren, humorvolleren und mitfühlenderen Menschen zu werden.

Wenn ich als Yogalehrer/in meine Aufgabe darin sehe, den Menschen in der Yoga-Klasse einen Raum zu geben, in dem sie ihr wahres Selbst erfahren können, dann ist es auf einmal gar nicht mehr so wichtig, welche Übungen sie machen, in welchem Setting oder in welchem Zeitrahmen.

Es brauchen nicht die Übungen sein, die ich selbst übe. Es können ganz andere Übungen sein, die aber ganz genau zu den Schülern passen und auf eine Weise angeleitet werden, dass sie mehr „zu sich kommen“.

Eine scheinbar einfache Katze-Kuh-Bewegung kann auf eine genauso achtsame Weise ausgeführt werden, wie ein Kopfstand. Aber beide können auch völlig automatisch und mit Gedanken an das abendliche Fernsehprogramm ausgeführt werden. Es macht keinen Unterschied.

Wo, was und wie lange geübt wird, spielt nicht so eine große Rolle. Auf das WIE kommt es an. Und dazu kann ich als Yogalehrer/in die Teilnehmer immer anleiten. Achtsam und ohne etwas zu wollen.

Lasst uns den Yoga-Trend nicht zerpflücken, sondern nutzen, um Mitgefühl und Freude in die Welt zu tragen! Und wenn sie alle mit den coolsten Yoga-Gadgets ausgestattet sind, jeder eine buntere Leggins hat und Facebook vor Yogafotos platzt – egal.

Irgendwann kommt ganz sicher dem einen oder anderen die Erkenntnis: Ich brauche das alles nicht, denn Yoga ist so wunderbar einfach…

Om Shanti

Ein Artikel von Gauri D. Reich

Gauri Daniela Reich Yogalehrerin (BYV), Ayurveda Gesundheitsberaterin (BYVG), Vegane-Ernährungsberaterin, Yoga Personal Trainerin, Inner Flow Vinyasa Teacher, Lehrerin für Prävention und Gesundheitsförderung, Ausbildung in Thai Yoga Massage, Diplom Betriebswirtin.

Gauri praktiziert Yoga seit 2011. Nach ihrer zweijährigen Ausbildung im Yoga Vidya Center Darmstadt lebte sie knapp zwei Jahre im Yoga Vidya Ashram Bad Meinberg, wo sie ihre Yogapraxis und Unterrichtserfahrung vertiefte. Ihr Yogaunterricht reicht von therapeutischen Yoga Stunden über schweißtreibende Vinyasa Sequenzen, exakte Ausrichtungs-Prinzipien aus dem Iyengar Yoga Stil bis hin zu klassischen Sivananda oder Yoga Vidya Stunden aller Level, die auch zu Mantrayogastunden werden können.

——

14 Kommentare zu “Yoga Trend des 21. Jahrhunderts – wie sehr sollen Yogalehrer sich verbiegen?

  1. Sigrid Gleinser

    Liebe Gauri,
    vielen herzlichen Dank, Du sprichst mir aus der Seele. Wir als Yogalehrer dürfen dort beginnen, wo wir die Menschen erreichen, sei es der Rückenschmerz oder der Wunsch nach innerem Frieden. Meine Mission ist das “Beginnen” – die erste Türe ins Innere öffnen. Atmen und Fühlen. Still werden. Da ich in erster Linie Yoga in Hotels und Unternehmen unterrichte, und zu Beginn der Stunde alle sagen dürfen, was sie sich wünschen bzw. was sie “brauchen”, geht meine Erfahrung mit Deiner konform. Und dann wünschen sich die Metall-Arbeiter am Ende der Stunde das Gayatri Mantra… dann fühlt sich ein ganz neuer Teilnehmer nach dem Pranayama, wie sein Herz ihn von innen her bewegt … dann wird plötzlich mitfühlender miteinander gesprochen und geschwiegen, Würde erfüllt den Raum. Es ist berührend, jeden Tag, immer wieder, und wunderschön, wie Yoga wirkt. Es wirkt immer, ganz gleich, wo und mit welcher Intention begonnen wird.
    Viel Freude und Segen weiterhin,
    von Herzen,
    Sigrid

  2. Petra Lackner

    Liebe Gauri,
    vielen Dank für diesen inspirierenden Artikel!
    Ich selber praktiziere seit nunmehr 25 Jahren Yoga, habe viele verschiede Yoga Wege kennen lernen dürfen, war zwischendurch selbst überzeugt dass es wichtig ist, schweißtreibend zu üben, hatte dann auch die richtigen Schüler dafür, mittlerweile unterrichte ich seit Jahren auch Meditation und es ist wunderschön zu sehen wie sich Menschen entwickeln, zu sich selbst finden und ich bin sehr glücklich dass ich viele auf ihrem Weg unterstützen darf. Die Eine oder der Andere finden immer mehr die Ruhe im Inneren und in der Verbindung von Mutter Erde und Vater Himmel. Es ist so wunderschön verbunden zu sein und angeleitet zu werden. Ich durfte auch die Erfahrung machen dass ich, wenn ich authentisch unterrichte auch Ohms und Mantren singen darf und die Schüler sich darauf einlassen. Wenn der Lehrer selbst unsicher ist bei dem was er tut, oder es einfach nicht versteht warum, dann fühlt es sich auch komisch für die Schüler an. Om Om Om, Namaste

  3. Margit Niebergall

    Für den Chef von Yoga vidya, Herrn Bretz, und andere, die Yoga zu ihrem Geschäftsmodell gemacht haben, ist der aktuelle Hype um Yoga doch nur gut. Ehrlich, es gibt Schlimmeres, womit man Geschäfte machen kann. Allerdings würde ich es mir verbitten, wenn mein Yogalehrer (oder irgendein anderer Sporttrainer) es sich anmaßen würde, mich zu einem besseren, glücklicheren oder spirituelleren Menschen umerziehen zu wollen.
    Ich mache Yoga, weil es mir ganz gut gegen meine Rückenschmerzen hilft, Die spirituelle Seite des Yoga hat mich noch nie interessiert – so wie ich insgesamt ziemlich unspirituell bin.
    Das ist übrigens etwas, was mich an Yoga Vidya stört: dass man versucht, Gäste und Seminarteilnehmer auf den spirituellen Weg des Herrn Bretz zu zwingen (in den vereinseigenen Ashrams werden sogar Individualgäste gezwungen, mindestens einmal pro Tag eine einstündige Meditationssession abzusitzen). Das schreckt ab.

    • Liebe Margit,
      danke für den Kommentar.

      Bei Yoga Vidya wird niemand “gezwungen”, denn die Teilnahme an einem Seminar oder der Aufenthalt als Individualgast ist ja freiwillig. Die tägliche Teilnahme an mind. einem Satsang und mind. einer Yogastunde hat Gründe, die sicher auch durch einen spirituellen Kontext begründet sind. Ich persönlich bin davon überzeugt, dass dies bei weitem (wenn nicht sogar ausschließlich) mehr Vorteile als Nachteile hat. Ihnen sei natürlich freigestellt, Yoga in einem anderen Umfeld zu praktizieren. Dafür wünsche ich ihnen weiterhin alles Gute und viel Freude bei der Yogapraxis.
      Liebe Grüße
      Dirk

  4. Alice Cascolan

    Liebste Gauri,
    vielen Dank für das Teilen Deiner Ansicht zum Thema. Du sprichst mir quasi aus der Seele. Danke für die Inspiration!
    Om Om Om, Ali

  5. Liebe Gauri, habe Dank für deine schönen Gedanken. Als Meditationslehrerin stelle ich mir ähnliche Fragen. Meist ist es nicht der Wunsch nach spiritueller Entwicklung und Erwachen, das die Menschen in meine Kurse bringt. Sie suchen Entspannung, Innere Ruhe und Hilfe bei Stress. Nun, das sind die ersten Schritte auf dem Weg und das gebe ich ihnen gerne. Vielleicht kommen einige dann noch dahin, dass sie den Yoga Weg beschreiten.
    Namaste, moonbird

  6. Gangadhara

    Vielen Dank für deinen klaren und selbstbewußten Standpunkt. In der Bhagavad Gita sagt Krishna: Es gibt so viele Yogawege wie es Lebewesen gibt. Lehren und Konzepte sind sehr hilfreich-nicht mehr und nicht weniger.
    OM Shanti & liebe Grüße

    Gangadhara

  7. Liebe Gauri, danke für Deine Zeilen. Genauso empfinde ich es auch. Ich praktiziere MEIN Yoga. Meist ist das viel weniger als 90 Minuten. Aber es ist tatsächlich Zeit für mich, in der ich zu mir finde.
    Liebe Grüße
    Sandra

  8. Monika Adele Camara

    Din Kommentar ist wohl überlegt und stimmig. Und zeigt uns, dass wir nicht in Konkurrenz treten müssen – alles ist schon da. Die Lehre ist zeitlos und immer wieder innovativ. Om Shanti – Mahadevi, Monika Adele Camara

  9. Yogi Ralf

    Es war schon immer so, dass derjenige, der sich selbst und authentisch einbringt, der Erfolgreichere war

    On shanti aus Bärlin

  10. Anonymous

    Liebe Gauri,
    dein Post kam gerade zur rechten Zeit.
    Die Zeit in der wir leben ist echt Wahnsinn und kompakt, kaum mehr zu überblicken. Das betrifft auch mich als Yogalehrerin. Umso mehr nochmal danke für die klaren Worte und dafür das ich nicht allein bin und doch irgendwie alles richtig mache.
    Herzlich
    Om shanti
    Rhadakrishna

  11. Namaste,

    vielen Dank für deine inspirierenden Worte. Egal wie und wo, unser universelles Werkzeug das uns vom ersten bis zum letzten Atemzug begleitet ist immer bei uns. Unser Atem. In Harmonie zu spüren und nur zu sein ist ein Geschenk das entdeckt werden will.

    Om shanti
    Madhava

  12. Kerstin Bsonek

    Liebe Gauri,
    Genauso ist es. Danke für das Herunterbrechen auf den eigentlichen Sinn des Unterrichtens.
    Ich werde mir Deinen Artikel ausdrucken und immer mal wieder lesen, wenn ich bestärkende Worte für mein Unterrichten brauche.
    Lasst uns heilendes Yoga unterrichten und immer wieder darauf hinweisen, dass Yoga auch im täglichen Leben seinen Platz findet.
    Danke für Deine klugen Worte!
    Om Shanti,
    Sitha

  13. die kritische

    Ich bin kein Roboter.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.