Für einige ist Yoga eine Sportart, für andere eine Philosophie. Für die meisten, die sich nicht tiefer damit beschäftigen, hört Yoga hinter der Matte auf. Yoga zieht sich durch unser ganzes Leben. Wie genau das funktioniert hat Katyayani in einem ihrer wunderschönen Satsangs erklärt. Wir wollen euch die Erkenntnis natürlich nicht vorenthalten und haben sie niedergeschrieben zum Vorlesen, Wiedererkennen und Austauschen.
Wenn wir auf die Erde kommen, sind wir erstmal hilflos. Wir wachsen im Mutterleib heran, werden geboren und sind auf Menschen um uns herum angewiesen. Unser Bewegungsspielraum ist noch sehr begrenzt. Wir atmen und fangen an uns zu bewegen. Wir lernen unseren Körper kennen. Das geht manchmal schief und wir treffen mit den kleinen Fäusten unser Gesicht ab und zu. Je weiter wir wachsen, desto besser können wir unseren Körper selbstständig steuern, bis wir absichtsvolle Handlungen ausführen können.
Wir können bald gehen, stehen, selber essen und sind in der Lage unseren Körper für unsere Lernerfahrungen einzusetzen. Das Zusammenspiel zwischen den Sinnen und dem Körper hin zu einer Handlung lernen wir kennen, indem wir uns bewegen. Wir lernen auch, welche Bewegungen nicht gehen oder uns wehtun. Das alles ist möglich durch Ausprobieren. Durch nutzen des Körpers lernen wir, uns um ihn zu kümmern. Dafür haben wir sehr viel Zeit. Wir nutzen die ersten Jahre unseres Daseins auf Erden, um unseren eigenen Körper kennen zu lernen. Zunächst ohne Worte, später dann mit Erklärungen von unseren Eltern oder Freunden.
Die ersten Schritte
Im yogischen Vokabular sind wir im Hatha Yoga. Wenn wir Hatha Yoga praktizieren, dann geht es darum den Körper besser kennen zu lernen, damit wir uns gut um ihn kümmern können. Damit er gesund und vital, beweglich und kräftig bleibt. Er soll uns ein Tempel sein, um die Erfahrungen zu machen, die wir brauchen. Das bekannte Zitat Yoga ist 99 % Praxis und 1 % Theorie lernen wir genau hier. Wir sitzen nicht still, meditieren und denken nach. Stattdessen dehnen, strecken und recken wir uns in die neu gewonnenen Fähigkeiten rein.

Besonders als Kleinkinder kommen wir in dieser Zeit oft an Stellen, an denen wir Hilfe brauchen. Wir fühlen uns unwohl und wissen nicht, warum oder können uns nicht selbst aus einer Stimmung raushelfen. Da schreien Kinder auf der ganzen Welt oft die gleiche oder eine ähnliche Silbe: Ma. Ob in Mum, Mamma oder Mama. Wir wiederholen zunächst die gleiche Silbe so lange, bis uns Hilfe ereilt oder wir selber lernen, uns um uns zu kümmern. Wie ein Mantra wiederholen wir diese Silbe auf der Suche nach Hilfe, nach Selbstverwirklichung oder Einheit. Aus dem Gespür der Unvollkommenheit oder Getrenntheit heraus, rezitieren wir das Mantra, dass uns so intuitiv in die Wiege gelegt wurde.
Nach einiger Zeit haben wir gelernt, uns mehr und mehr selbst zu helfen. Wir verlassen die eigenen vier Wände und erkunden die Welt außerhalb. Im Sandkasten schließen wir die ersten Freundschaften und tragen unsere ersten Konflikte aus. Zum ersten Mal lernen wir nicht nur den Körper, sondern auch die Gefühle und den Geist kennen. Erst in Beziehung zu anderen erfahren wir, was unsere Wünsche mit uns tun. Nimmt jemand im Sandkasten unser Förmchen weg, werden wir wütend und schreien. Gibt uns hingegen jemand unsere Lieblings-Schaufel, freuen wir uns, lächeln zurück.
Den Geist erkennen
Hier erfahren wir ganz aktiv, was Raja Yoga ist. Wir erforschen unsern Geist, unsere Psyche und wollen diese beherrschen lernen. Im Alltag beobachten wir uns selbst, wie wir mit anderen umgehen und was das mit uns macht. Auf der archaischen Ebene hat dies die Funktion unser Überleben zu sichern, auf der spirituellen Ebene können wir lernen in Verbindung zu gehen ohne zu leiden. Begegnungen, die uns nicht guttun, lernen wir abzulehnen. Die anderen lösen in uns Begierde aus. Durch das Wahrnehmen lernen wir diese Empfindungen zu beherrschen und positive, gezielt einzusetzen.

Nach weiteren Jahren des Erforschens, Kennenlernens und Ausprobierens, beginnen wir irgendwann unser Berufsleben oder die Ausbildung. Bestimmte Fähigkeiten haben wir, wollen wir entwickeln oder bauen wir aus. Eventuell wollen wir etwas in der Welt hinterlassen, etwas erreichen und unser eigenes Leben gestalten. Dann wachsen wir über unsere Fähigkeiten hinaus, genau wie im Karma Yoga. Anstatt die Handlungen einfach nur durchzuführen, sehen wir sie als Dienst an etwas Höherem. Für viele ist es schon Gott, manche denken eher an ihr zukünftiges Ich oder an das Wohle aller. Der Geist wird gereinigt, geläutert, wir gehen durch viele Transformationen durch.
Ein großes Ganzes
Der niedere Geist kann immer mehr loslassen und wir entwickeln gleichzeitig Bhakti Yoga. Wenn wir eine Aufgabe mit Konzentration und Elan erledigen, kommt automatisch die Hingabe. Dadurch, dass wir Freude empfinden, können wir uns ganz der Tätigkeit hingeben. Wir praktizieren Bhakti und begeben uns in die Einheit. Ein Gemeinschaftsgefühl erfüllt uns und all unser Handeln. Im Idealfall erkennen wir durch unseren Beruf, dass wir alle gemeinsam agieren. Wir entwickeln immer mehr Verständnis für die Einheit aller Menschen. So beginnt ganz langsam die Erkenntnis des Jnana Yogas in uns zu erwachen. Wir erlangen höchstes Bewusstsein, über Jnana Yoga heraus, dass wir nicht mehr wahrnehmen können.
Alles, was es auf der spirituellen Ebene gibt, sehen wir auch in unserem Leben und Aufwachsen. Yoga gehört tief integriert zu uns, in unsere Entwicklung zu einem eigenständigen Erwachsenen. Manche Schritte dauern länger, andere wiederholen sich und einige Themen nehmen wir manchmal mit ins nächste Leben. Die verschiedenen Hüllen und Körper, Kreislaufsysteme, Energiesysteme und unsere Psyche werden vom Yoga berührt. Es ist nicht außerhalb von uns, sondern wächst in uns integriert in ein großes Ganzes. Wir brauchen nicht die Familie, den Beruf oder unsere Hobbies aufgeben, um im Yoga weiterzukommen. Stattdessen laden wir Yoga ein, in unserem Leben zu wirken und uns Rückenwind zu geben in allen Lebenslagen.