Die geistige Symbolik der Asanas – Raja Yoga auf der Yogamatte – Teil 3

Om Namah Shivaya und herzlich willkommen zum dritten Teil der Serie Raja Yoga auf der Yogamatte. Im letzten Artikel haben wir die ersten vier Asanas der Yoga Vidya Grundreihe genauer unter die Lupe genommen.

Kopfstand, Schulterstand, Pflug und Fisch haben ihre besonderen, eigenen Wirkungen. Das Praktizieren der Abfolge der Grundreihe wirkt ganzheitlich – auf Seele, Körper und auf den Geist.

In diesem Teil geht es weiter mit der Vorwärtsbeuge, in der wir die Yamas und Niyamas üben können und mit der Kobra, die uns zeigen möchte, wie man Ängste und Emotionen überwinden kann.

Paschimotthanasana (Vorwärtsbeuge im Sitzen)

Pashima bedeutet Westen. Pashimottanasana ist die Haltung des Westens. Im Westen geht die Sonne am Ende des Tages unter. Bei der Yogapraxis wird empfohlen, sich zum Altar, der im Osten steht auszurichten. Damit ist im Westen unsere Körperrückseite, die in dieser Haltung gedehnt wird.

Auf der Körperrückseite befinden sich große Muskeln, die lange brauchen, bis sie nachgeben, wie z.B. der Rückenstrecker und die Gesäßmuskeln. Deshalb braucht es bei der Übung von Pashimottanasana vor allem Geduld.

In den Raja Yoga Sutras des Patanjali werden fünf Yamas – Verhaltensregeln für den Umgang mit anderen und fünf Niyamas – Verhaltensregeln für den Umgang mit sich selbst aufgezählt. Fast alle diese Tugenden lassen sich in der Asana-Praxis auf der Matte üben. Pashimottanasana eignet sich dafür besonders gut, weil die Haltung sehr anspruchsvoll ist und dennoch viel Raum für Selbstbeobachtung lässt.

Yamas

  1. ahimsa – Gewaltlosigkeit

Gewaltlosigkeit beginnt immer bei Dir selbst. Nachdem Du die Haltung genau eingerichtet hast, gilt es, so zu üben, dass die Dehnung gut spürbar ist, Du Dich jedoch nicht überforderst. Wie oft schauen wir nach rechts und links zu anderen Teilnehmern der Yogastunde und wollen uns noch ein bisschen weiter und tiefer in die Stellung hinein ziehen?

In dem Moment aber, in dem Du Deinen Körper in eine Position ziehst, die er heute einfach nicht ausführen kann, ist das Gewalt am eigenen Leib, die sich schnell durch Zerrungen oder andere Schmerzen rächen kann. Es geht also darum, bei Dir zu bleiben und liebevoll Deine Grenzen zu erforschen und zu erweitern.

  1. satya – Wahrhaftigkeit

Pashimottanasana bietet viele Möglichkeiten zum Schummeln. Bei vielen Teilnehmern beobachte ich, wie die Zehen oder die Fuß-Außenkanten nach vorne ausweichen, der Rücken sich krümmt oder die Knie ungewollt beugen. Auf diese Weise kommen sie mit den Händen weiter nach vorne und vielleicht sogar bis an die Füße oder mit dem Gesicht tiefer zu den Beinen.

Aber zu wessen Vorteil? Die Dehnung an der Körperrückseite geht den Übenden an den entsprechenden Stellen verloren, wenn sie ausweichen und so betrügen sie sich selbst um den Benefit der Übung.

  1. asteya – nicht stehlen

Diese Regel steht auch dafür, nicht das haben zu wollen, was andere haben und mit dem zufrieden zu sein, was Du hast (siehe auch das Niyama ‘santosha’ – Zufriedenheit). Es gibt immer jemanden in der Yogaklasse, der ein Asana scheinbar besser kann.

Jeder ist anders und letztendlich geht es nicht um den Körper, sondern um die Geisteshaltung, die wir beim Üben einnehmen. Bleib also am besten mit Deiner Aufmerksamkeit bei Dir und bei Deinem Körper. Da gibt es genug zu entdecken!

  1. brahmacharya – egoistisches Verhalten in Beziehungen vermeiden

Eine besitzergreifende Erwartungshaltung in zwischenmenschlichen Beziehungen (das bezieht sich nicht nur auf Liebesbeziehungen, sondern auf jede Art von Beziehung) kann nur durch eins vermieden werden: durch das Erkennen Deines Selbst als tiefe Quelle von Glück und Zufriedenheit in Dir.

Wenn Du aus Dir selbst heraus glücklich und zufrieden bist, brauchst Du keinen anderen Menschen dafür verantwortlich machen oder das Glück bei einem anderen Menschen suchen. Dann kannst Du alle Menschen sein lassen, wie sie sind und mitfühlend mit ihnen umgehen.

So kannst Du Paschimottanasana dazu nutzen, nach Innen zu schauen und zu lauschen, um Dein Selbst, Deine wahre Natur zu erfahren und dementsprechend die Verbindung mit ihr zu stärken.

  1. aparigraha – nicht horten, Anspruchslosigkeit, keine Erwartungen haben, nicht gierig sein.

Diese Tugend verbindet die Niyamas Zufriedenheit und Gottvertrauen. Wer zufrieden ist und darauf vertraut, dass alles zu ihm kommt, was er braucht, braucht nichts anzusammeln und zu horten.

Wer Vorräte anlegt wie ein Hamster tut dies meist aus einem Gefühl des Mangels heraus. Dieses Gefühl entsteht aus Unzufriedenheit und einem Fehlen von Vertrauen. Und wer kein Vertrauen in Gott oder das Universum hat, versucht alles selbst zu kontrollieren, was niemals vollkommen möglich ist.

Auch unser Vorankommen in Paschimottanasana (wie in allen anderen Asanas auch) haben wir nicht komplett selbst in der Hand. Ja, wir können regelmäßig mit Hingabe üben, aber ob und wann die Hände die Füße erreichen oder das Gesicht die Beine berührt, können wir nicht vorbestimmen.

Es ist reine Gnade, entweder sie kommt oder sie kommt eben nicht. Aber letztendlich geht es darum auch gar nicht. Yoga üben wir nicht, um Kunststücke zu machen, sondern um bewusstere, gesündere, glückliche und mitfühlende Menschen zu sein und dafür ist die Form Deiner Vorwärtsbeuge ganz egal. 🙂

Niyamas

  1. Saucha – Reinheit

Damit ist nicht nur die körperliche Reinheit gemeint, sondern auch die Reinheit des Geistes. Auf körperlicher Ebene stärkt Pashimottanasana die Verdauungskraft, was dem Körper bei der Entgiftung hilft. Gleichzeitig trägt die Haltung durch die hier aufgeführten Ansprüche zur Reinigung des Geistes bei.

  1. Santosha – Zufriedenheit

siehe Yamas 3, 4 und 5

  1. Tapas – Selbstdisziplin und 4. Svadhyaya – Studium des Selbst

Wie schon weiter oben bei den Yamas erklärt, ist es eine Herausforderung, in Pashimottanasana alle Ausrichtungsprinzipien einzuhalten und ehrlich in der Haltung zu verweilen ohne auszuweichen. Das erfordert genaue und ehrliche Selbstbeobachtung und Disziplin.

  1. Ishvara Pranidhana – Hingabe an Gott,

Bereits bei dem Punkt aparigraha war die Rede davon, dass das Ergebnis unserer Handlung nicht in unserer Hand liegt. Es ist hilfreich, wenn wir uns dies immer wieder bewusst machen und darauf vertrauen, dass alles, was geschehen soll, geschehen wird und dass das, was nicht geschieht eben nicht geschehen soll.

Wir kennen die universellen Zusammenhänge nicht und können darauf vertrauen, dass alles was geschieht zu unserem Besten und zum Besten der Allgemeinheit ist.

Bhujangasana – Kobra

Die Schlange steht im Hinduismus für Angst. Unsere schlimmste Angst ist die Angst vor dem Tod. Alle Ängste, die wir haben entstehen aus Unwissenheit und Verwirrung über unser Ich und führen zu Leid.

Shiva hat alle Ängste überwunden und trägt als Zeichen dafür die Schlangen wie Schmuck um seinen Hals. Er kennt sein göttliches Selbst und die Angst kann ihm nichts mehr anhaben. Bemerke: Die Schlangen sind nicht weg und auch nicht tot. Er hat sie gezähmt! Sie sind noch da, haben aber keine Macht mehr über ihn.

Wie überwindet man Angst und Emotionen?

Es hilft nichts vor einer Schlange davon zu laufen. Sie ist schneller als du und wird dich beißen. So ist es auch mit der Angst. Wie willst du vor etwas davon laufen, das in dir ist? Du kannst Dich ablenken mit Fernsehen, Arbeit, Sex, Drogen, Sport ect. Aber die Angst bleibt und kommt immer wieder zu Dir zurück.

Verhältst du dich jedoch ganz ruhig und schaust die Schlange einfach nur an, dann kann sie dich nicht wahrnehmen und wird sich von Dir abwenden. Lauf also nicht vor deinen Ängsten weg. Bleib ganz ruhig und schau sie dir einfach an. Verharre, egal wie hoch die Wogen der Emotionen in dir toben. Gib ihnen Raum, nimm sie wahr. Sie werden sich im Licht Deiner Aufmerksamkeit auflösen wie Schäfchenwolken an einem warmen Sommertag.

Bald geht es weiter mit dem letzten Teil dieser Serie, in dem wir die Asanas Dhanurasana (Bogen) bis Shavasana (Entspannungshaltung) sowie die Bedeutung der täglichen Yogapraxis betrachten werden.

Bis dahin viele Sonnengrüße!

Om Shanti

Quellen:

  • Licht auf Yoga, B.K.S. Iyengar
  • Als Vishnu eine Lotosblüte gebar, Alanna Kaivalya, Arjuna van der Kooij

Alle Teile dieser Serie:

Seminare mit Gauri bei Yoga Vidya:

  • Easy Yoga – Asanas leicht gemacht, 02. – 04.03.2018
  • Yoga & Meditation -Einführungstag, 11.03.2018
  • Asana intensiv – musikalisch-meditativ, 23. – 25.03.2018
  • Yoga & Meditation Einführung, 11. – 13.05.2018

Alle Seminare mit Gauri auf einen Blick →

Gauri Daniela Reich Yogalehrerin (BYV), Ayurveda Gesundheitsberaterin (BYVG), Vegane-Ernährungsberaterin, Yoga Personal Trainerin, Inner Flow Vinyasa Teacher, Lehrerin für Prävention und Gesundheitsförderung, Ausbildung in Thai Yoga Massage, Diplom Betriebswirtin.

Gauri praktiziert Yoga seit 2011. Nach ihrer zweijährigen Ausbildung im Yoga Vidya Center Darmstadt lebte sie knapp zwei Jahre im Yoga Vidya Ashram Bad Meinberg, wo sie ihre Yogapraxis und Unterrichtserfahrung vertiefte. Ihr Yogaunterricht reicht von therapeutischen Yoga Stunden über schweißtreibende Vinyasa Sequenzen, exakte Ausrichtungs-Prinzipien aus dem Iyengar Yoga Stil bis hin zu klassischen Sivananda oder Yoga Vidya Stunden aller Level, die auch zu Mantrayogastunden werden können.

1 Kommentar zu “Die geistige Symbolik der Asanas – Raja Yoga auf der Yogamatte – Teil 3

  1. Margit Niebergall

    Die Vorwärtsbeuge im Sitzen mache ich auch sehr gerne – auch ohne sie mit irgendwelchen pseudoreligiösen Bedeutungen aufzuladen.
    Allerdings kenne ich es so (aus der Reha), dass es völlig in Ordnung ist, die Knie dabei leicht zu beugen, wenn es mit gestreckten Beinen nicht geht.
    Dass ich dabei nicht nach links und rechts schiele und nicht “auf Deibel komm raus” meinem Körper etwas abnötige, was er nicht leisten kann, ist für mich eigentlich selbstverständlich.
    Auch die Kobra mache ich ganz gerne, danach muss ich aber zum Ausgleich in die Kindhaltung gehen.
    Alles in allem finde ich es ehrlich interessant, was man so alles in diese Übungen hieinsehen kann – wenn es dazu führt, die Freude daran zu steigern, warum nicht. Es schadet ja niemandem.

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