Waldbaden (Shinrin-Yoku) – die exoterischste aller Gehmeditationen

Waldbaden. Wieder eine schicke, neue Trendsportart? Was, wofür man sich eine App herunterladen muss, Nahrungsergänzungsmittel und Spezialkleidung shoppen und den Terminkalender umschmeißen muss? Nichts dergleichen. 

Denn der Wald ist da. Tag und Nacht. Sommer wie Winter. Du musst nur hineingehen. Und dann: Atmen. Sehen. Hören. Riechen. Fühlen. Spüren. Wahrnehmen. Nicht nach innen gewandt, sondern mit allen Sinnen nach außen fühlend findest du deinen Platz.  Nimm ein Bad im Wald.

Flatternd, 

in der Brise schwebend, 

ein einzelner Schmetterling.

Masaoka Shiki (1867-1902)

Waldbaden – die japanischen Wurzeln

Vor ca. 20 Jahren war ich im Frühling in New York. Da ich nicht weit vom Botanischen Garten in Brooklyn wohnte, erklärte ich diesen unbesehen zu meiner Ruhe-Oase in dieser 24/7 immer alles laut machenden Stadt. Zu meinem Entzücken standen dort im japanischen Garten gerade die Kirschbäume in voller Blüte. Allerdings war unter den rosa leuchtenden Blütendächern nichts mit Ruhe. Was ich vorfand, war ein sehr lebhaftes, menschliches Getümmel. 

Da spielt eine ganze Grundschulklasse kleiner Mädchen in Schuluniform Ringelrein und Fangen. Dort stehen schläfenbelockte, charedische junge Männer und diskutieren angeregt in ihrer Sprache. Kreischende Teenager balgen sich im Gras. Da lümmeln drei Mann auf einer Bank und wippen schweigend synchron zu den Beats aus ihrer Beatbox. Ein streitendes Pärchen lässt mich an seiner Misere teilhaben. Dazu ein paar Inlineskater, hier und da jemand mit Buch in der Hand. Und natürlich Menschen, die in ihre Fernsprechapparaturen sprechen. Auch daran darf ich teilhaben. 

Die, die ihre Umgebung mit einbeziehen, tun das mit lauten Ohhs und Ahhs. Zeigen dabei hierhin und dorthin. Posieren, fotografieren und filmen sich gegenseitig. Scheuchen andere aus ihrem Bild. Cheese!  

Wenige, die einfach nur den Anblick genießen. Aber da schlendert eine ältere Dame, die Hände im Rücken verschränkt, den Blick nach oben gewandt, durch die Kirschblütenallee. Und ein Mann, erst die Anzugjacke säuberlich gefaltet und abgelegt, umarmt einen Baum.

Eine Frau geht sanft lächelnd, mit gespreizten Handflächen Unsichtbares fühlend, zwischen den Bäumen hindurch. Ein junger Mann meditiert mit halb geschlossen Augen. Was die vier gemeinsam hatten? Den ruhigen Genuss in ihren Mienen und ihre, von mir vermuteten, japanischen Wurzeln.

Wer hats erfunden?

In den Wald zu gehen, um den Geist und die Sinne zu beruhigen, ist natürlich keine japanische Erfindung. Aber es als wichtigen Heilaspekt für die Volksgesundheit zu propagieren schon. Das Waldbaden,  Shinrin-Yoku, gilt in Japan als Bestandteil eines gesunden Lebensstils.  Aber damit ist noch nicht Schluss! 

An japanischen Universitäten ist Waldmedizin anerkanntes Forschungsgebiet. Die Ergebnisse dieser Forschungen haben dazu geführt, dass man beim Arztbesuch in Japan wegen Burnout oder Herzkreislauf-Erkrankung eine Waldtherapie verordnet bekommt. Bereits ein kurzes Waldbad verbessert Atmung, Puls und Blutdruck. 

Längere und regelmäßige Waldbäder (mind. 2x/ Monat) helfen insbesondere bei Schlafstörungen, depressiven Gedanken, psychischen Belastungen, der Aufmerksamkeitsstörung ADHS und stärken das Immunsystem nachweislich.

Shinrin bedeutet auf Japanisch „Wald“ und Yoku bedeutet „Bad“. Shinrin-Yoku bedeutet soviel wie, in der Waldatmosphäre zu baden oder den Wald durch unsere Sinne aufzunehmen. Als Wiederfinder,  Lostreter und Namensgeber dieser Entwicklung Anfang der 80er Jahre gilt das japanische Forstministerium.

Waldbaden – eine kurze Anleitung

Das Eintauchen

Der Weg ist das Ziel. Keine Kilometer/Schrittzahlen sollen gemessen oder zurückgelegt werden. Nur Sein im Wald. Kamera, Telefon, Freunde mit Redebedarf – alles zu Hause lassen.  Manchmal ist es gut, mit einer Meditation einzusteigen. Stehe dazu in Tadasana. Schließe die Augen. Atme tief und gleichmäßig langsam ein- und aus. Wenn du das Gefühl hast, hier zu sein, öffnest du die Augen.

Erste Züge

Lasse ab jetzt deinen Körper den Führer sein. Folge einem Geräusch, höre auf deine Ohren. Oder folge einem Duft – der Nase nach. Oder geh mit einer Brise. Nimm dir Zeit. 

Schau ins Blätterdach, so viele Grüns! Sieh das Wurzelwerk, dicke und dünne Adern, die im Erdreich verschwinden. Da ein Schmetterling. Über dir kreist ein Raubvogel. Eine Spinne repariert ihr Netz.

Ein Jogger trabt vorbei. Ein Rascheln im Unterholz. Bäume wiegen sich knarrend im Wind. Kinderlachen. Ein Motorrad heult auf.

Im Frühling riechst du Bärlauch, oder vielleicht Maiglöckchen. Schmecke die Luft, die immer neu schmeckt, je nach dem von wo der Wind weht und wo du gehst. Moorig, torfig, harzig … 

Du kannst auch ein Stück weit im Bach waten, oder nur mit den Fingerspitzen über die Wasseroberfläche tanzen. Fühle auch die Kälte im Schatten, die Wärme in den Sonnenflecken. Wenn dich ein Baum einlädt, lehne dich an, schließe die Augen und fühl ihn.

Treibenlassen

Wenn du dich auf deine 5 Sinne eingelassen hast, kommt der 6. Sinn von selbst endlich spürbar ins Spiel: Propriozeption oder Tiefensensibilität genannt. Dieser Sinn schafft zum Beispiel, dass wir uns mit geschlossenen Augen an die Nasenspitze tippen können.

Spüre nun zusätzlich deine Bewegung. Federt der Boden? Ist dir nach langsamem, leisen Schleichen, oder tänzelst du gar ein paar Schritte? Sind die Hände verschränkt oder reckst du sie gen Himmel? Es ist deine Wahrnehmung von dir im Raum. Jetzt bist du wirklich angekommen. Ab jetzt spürst du nicht nur. Ab jetzt nimmst du wahr. Du bist mit der Natur verbunden – Ruhe und Freude breiten sich aus.  

Waldbaden für Nichtschwimmer

Wenn es darum geht, Ruhe und Entspannung zu finden, gibt es kein Patentrezept – es ist von Mensch zu Mensch unterschiedlich. Manch einer fühlt sich nicht wohl in einem Wald, der zum Beispiel zu sehr Nutzholzgewinnungsanlage ist … Such dir einen Ort, den du erfühlen willst.

Das kann auch ein Moor, eine Heide, ein Berg, ein Park oder gar eine Brache sein. Bade in der Naturlandschaft, in der du dich wohlfühlst! So kannst du dich besser für deine Umgebung öffnen. Vielleicht gibt es da eine Stelle in der Natur, die dich an glückliche Zeiten in der Vergangenheit erinnert. Hier wird es dir leichter fallen.

Auch wer sehr ein- und angespannt ist, kann es schwierig finden, den Geist vom Planen, Ordnen, Organisieren abzubringen. Langsamer werden und sich aufs Spüren zu verlegen kann manchmal echt schwerfallen. Dann kann es helfen, ein Seminar oder einen Kurs dazu zu belegen. Der Kursleiter kann dir helfen, beim Loslassen, Treibenlassen.

Pack die Waldbadehose ein! Und dann nischt wie raus …

Waldbaden kann man überall auf der Welt – überall dort, wo es Bäume gibt; bei heißem Wetter oder bei Kälte; bei Regen, Sonne oder Schnee. Du brauchst nicht einmal einen Wald. Wenn du es einmal gelernt hast, kannst du Shinrin-Yoku überall machen – in einem nahe gelegenen Park, selbst bei dir im Garten. Werde eins mit der Natur.

Silvatikum im Schnee2023

Wenn du zu den Nichtschwimmern im Waldbaden gehörst, interessiert dich vielleicht eines unserer Seminare in der Natur. Mit Klick auf Waldbaden findest du die passenden Waldbademeister in Bad Meinberg und im Westerwald.

4 Kommentare zu “Waldbaden (Shinrin-Yoku) – die exoterischste aller Gehmeditationen

  1. Ute M. Mertes

    Alles sehr interessant. Für mich ist der Wald etwas ganz Besonderes. Ich wohne direkt am Wald und mache täglich meinen Spaziergang dorthin. Oft meditiere ich auf einem großen Baumstamm. Ganz liebe Grüsse Ute

  2. Danke für diesen wunderbaren Text zum Waldbaden!
    Die Sinne ganz bewusst nach aussen wenden. Mit allen Sinnen spüren. Aufnehmen. Um dann ganz tief wahr zu nehmen. Innen und aussen.
    Heute morgen war ich kurz im Wald. Und nun ruft er mich wieder. Danke!

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