„Edel sei der Mensch, hilfreich und gut“, schrieb bereits Goethe. Doch wie das umzusetzen ist, da scheiden sich die Geister. Auch Yoga beschäftigt sich seit jeher mit ehischen Fragen. Dabei geht es nicht nur um nach Außen gerichtetes Verhalten, sondern auch um die Frage wie wir mit uns selbst umgehen sollen. Dieses Konzept ist im Raja Yoga als die sogenannten Niyamas bekannt.
Die Niyamas – Mein Verhalten mir gegenüber
Die ethischen Regeln der Niyamas wenden sich an uns selbst und formen den Grundstein der Praxis. Reinheit des Körpers bedeutet beispielsweise, Hygiene, gesundes Essen und Vermeidung von Vergiftungen (z.B. durch Umweltgifte), so gut zu verwirklichen, wie es möglich ist. Insgesamt nennt Patanjali 5 Niyamas:
- sauca – Reinheit
- santosha – Zufriedenheit
- tapas – Disziplin
- svadhyaya – Selbst-Studium
- ishvara pranidhana – Hingabe zu Gott
1. Reinheit
Das erste der Niyamas ist die Reinheit des Geistes. Das bedeutet, von Gefühlen wie Hass, Neid, Gier, oder Wut Abstand zu nehmen, indem wir das Ego und die Ignoranz als ihren Ursprung anerkennen. Aus einem blinden Geist entstehen ansonsten unvermeidlich Leid und Konflikte.
2. Zufriedenheit
In Kapitel II. Vers 42 erklärt Patanjali, dass Zufriedenheit die Ursache von unübertrefflichem Glück ist. Das ist ein sehr interessantes Statement. Wenn die Menschheit diesen Vers verstehen würde, müssten wir nicht unseren Planeten zerstören, weil wir das Glück in materiellen Dingen und Konsum suchen.
«Zufriedenheit ist sehr wichtig für die spirituelle Praxis.»
Wir könnten einfach mit dem, was wir haben, zufrieden und glücklich sein. Das bedeutet nicht, dass man mangels Motivation nichts mehr tut. Jedoch können wir, wenn wir mit dem jetzigen Moment zufrieden sind, in unsere innere Stille hineinlauschen und hören, was jetzt wirklich getan werden soll.

Denn wenn wir mit unserer Situation nicht zufrieden sind, kreisen unsere Gedanken ständig um den wahrgenommenen Mangel und der Geist denkt unentwegt darüber nach, wie wir ihn beseitigen können und wie glücklich wir dann sein werden.
So ist es unmöglich, dass die Gedankenwellen im Geist zur Ruhe kommen (nach Patanjali die Definition von Yoga). Es ist also unbedingt notwendig, zufrieden zu sein. Dazu müssen wir erkennen, dass es keinen Mangel gibt und das uns nichts, aber auch gar nichts auf dieser Welt glücklich machen kann.
«Glück ist unsere Entscheidung zufrieden zu sein und diese Entscheidung können wir in jedem Moment und in jeder Situation treffen.»
Kein Ding, kein Ereignis, kein Mensch – nichts hat das Glück inne. Und selbst wenn wir durch das Erlangen von irgendetwas kurzfristig glücklich sind, wird dieser Zustand nicht lange anhalten, denn der nächste Wunsch kommt schon sehr bald.
3. Diziplin
Disziplin bedeutet, dass wir auch mal unangenehme Umstände in Kauf nehmen. Wir sollten uns darauf einstellen, dass der spirituelle Weg nicht immer nur einfach ist.
Zwar sagt uns die Vedanta Philosophie, dass wir alle bereits befreit sind, nur leider erkennen das die meisten von uns nicht einfach so. Wer das Selbst rein über das intellektuelle Verstehen erfassen kann, für den reicht das Studium der Brahma Sutras. Für alle anderen gibt Patanjali die 8 Stufen und die Übungen, mit denen wir uns diesem Verständnis nähern können.
Für die tägliche Praxis braucht es Disziplin. Bereits die Einhaltung der Yamas und Niyamas erfordert Disziplin, genauso wie die tägliche Praxis von Asanas, Pranayama und Meditation. Mal gibt es Zeiten, da geht es wie von selbst.
Und dann kommen andere Zeiten, in denen wir große Widerstände haben. Hier gilt es, unseren gesunden Menschenverstand einzusetzen. Klar müssen wir unsere Praxis anpassen, wenn wir beispielsweise krank sind oder einen körperlich anstrengenden Job haben.

Wir sollten dies aber mit wachem Geist tun und uns nicht von der Faulheit überlisten lassen, die uns sagt, dass wir heute die Praxis mal ganz sein lassen könnten. Auch während der Praxis kann es ungemütlich werden. Z.B. während wir in einer Asana verweilen können unangenehme körperliche Empfindungen aufsteigen oder Emotionen hoch kommen. Genauso beim Pranayama und in der Meditation.
Ist dies der Fall, sollten wir uns in Tapas üben – natürlich immer in einem gesunden Rahmen – bevor wir uns mit Musik, Düften und anderen Bequemlichkeiten ablenken, die Position auflösen, die Praxis ganz beenden oder so verändern, dass wir nur noch das üben, was uns leicht fällt.
4. Selbststudium
Mit Selbststudium ist das Studium des Selbst gemeint. Hier geht es darum, dass wir mit Gott, so wie wir ihn verstehen, in Verbindung kommen. Dies geschieht durch die Wiederholung eines Mantras, wie z.B. der Silbe Om und durch das Studium heiliger Schriften.

Wenn man etwas liest, verbindet man sich immer mit dem Geist des Verfassers oder der Verfasserin. Da die heiligen Schriften wie Bhagavad Gita, Upanishaden, Bibel usw. direkt von Gott gegeben wurden, verbinden wir uns durch ihr Studium mit seinem Geist.
Durch das Studium dieser Schriften, die uns die Wahrheit über das Selbst offenbaren, werden wir beginnen, uns selbst zu befragen und immer tiefer in uns hinein schauen, um irgendwann dieses Selbst in uns zu erkennen.
5. Hingabe an Gott
Hingabe an Gott bedeutet, dass wir alles, was wir tun, dem höchsten Selbst widmen. Dies schließt aus, das wir in irgendeiner Form an den Früchten unseres Handelns hängen oder unser Handeln von Angst bestimmen lassen. Patanjali weist an mehreren Stellen seiner Sutras auf die Wichtigkeit von Ishvara Pranidhana hin und erklärt, dass die Hingabe an Gott uns hilft, die Hindernisse im Yoga zu überwinden und Samadhi zu erreichen.
Niyamas – Hingabe überwindet spirituelle Hindernisse
Die Hindernisse, die es zu überwinden gilt, sind die neun Kleshas:
- Vyadhi – Krankheit
- Styana – Geistige Starrheit
- Samsaya – Zweifel
- Pramada – Nachlässigkeit
- Alasya – Faulheit
- Avirati – Verlangen nach Vergnügen der Sinne
- Bhranti Darsana – falsche Ansichten
- Alabdha-bhumikatva – Unfähigkeit etwas zu erreichen
- Anavasthitatvani – Unbeständigkeit
Krankheit
Körperliche Krankheit macht spirituelle Praxis zwar nicht unmöglich, erschwert sie aber ungemein. Deswegen ist es wichtig den Körper durch Asanas, sattvige Ernährung und Kriyas (Reinigungsübungen) so gesund wie möglich zu erhalten.
Geistige Starrheit
Wenn der Geist starr ist, ist er unbeweglich. Man kann sich nicht auf neue Situationen einstellen oder realisieren, dass Dinge sich ändern. Man hält an veralteten Ansichten fest oder glaubt fanatisch an etwas, ohne andere Ansichten zuzulassen.
Während geistige Starrheit eine tamasige Qualität des Geistes ist, ist Zweifel rajassig. Beides kann durch Asanas und Pranayama ausbalanciert werden. Wenn wir nachlässig sind, beginnen wir nur noch das zu üben, was zu unserer Komfortzone passt. Wir bleiben gemütlich innerhalb unserer Grenzen und kommen nicht darüber hinaus. Durch Nachlässigkeit wird die Asana-Praxis zu Gymnastik und Meditation evtl. zu einer netten Entspannung oder zu Schlaf.
Faulheit
Auf dem spirituellen Weg dürfen wir nicht faul werden. Für die meisten ist es ein lebenslanges Lernen und Praktizieren, eine stetige Weiterentwicklung. Auch hier gilt es, seinen gesunden Menschenverstand einzusetzen. Wir müssen uns nicht abhetzen, sollten aber auch nicht stehen bleiben, sondern ruhig auf unserem Weg voranschreiten.
Verlangen nach Vergnügen der Sinne
Die Ablenkung durch Sinnes-Genüsse ist gerade für uns Westler ein großes Problem. Besonders in Städten werden wir von allen Seiten mit Sinneseindrücken bombardiert und mit Werbung, die uns erzählt, wie toll unser Leben wird, wenn wir dieses oder jenes konsumieren. Man soll sich mal was Gutes tun oder sich was gönnen.
Bei Niyamas den gesunden Mittelweg finden

Auch hier gilt es wieder den gesunden Menschenverstand zu benutzen. Zu viel Bequemlichkeit schwächt den Körper und den Geist genauso wie übertriebene Askese. Bequemlichkeit ist tamasig, zu viel Askese rajassig. Mit sattva finden wir den gesunden Mittelweg.
Der grundsätzliche Irrtum, dem wir unterliegen ist der, das wir ein Körper-Geist-Wesen wären und damit endlich. Wir erkennen nicht unser ewiges Selbst und verstricken uns in der materiellen Welt.
Auch wenn wir das Ziel des Yoga (Selbsterkenntnis) noch nicht verwirklicht haben, können wir uns immer wieder daran erinnern, dass es hier auf dieser Welt nichts zu holen gibt.
Wann immer wir ein Problem haben, können wir uns erinnern, dass wir nur träumen, dass nichts eine Bedeutung hat und dass es nur darum geht zu erkennen, dass in dieser Welt alles nur einen Sinn hat: Uns zu zeigen, dass es hier nichts gibt, was uns glücklich macht, damit wir uns an das Selbst erinnern und dahin zurückkehren.
«Auf dem Yogaweg geht es darum, dass wir uns stetig weiter entwickeln.»
Wir dürfen nicht stehen bleiben. Deswegen ist es wichtig, immer wieder neue Dinge zu etablieren. Dies können neue Asanas sein, eine höhere Ratio beim Pranayama oder längere Meditations-Sitzungen. Danach gilt es, diese Dinge beizubehalten und nicht wieder zurückzufallen oder ganz aufzugeben.
Om Shanti
Deine Gauri
Die „8 Stufen des Raja Yoga“ Artikelserie
- Yamas – Die 8 Stufen des Raja Yoga (Teil 1)
- Niyamas – Die 8 Stufen des Raja Yoga (Teil 2)
- Asana- Die 8 Stufen des Raja Yoga (Teil 3)
- Pratyahara – Die 8 Stufen des Raja Yoga (Teil 4)
Seminare zu Niyamas und Raja Yoga
Mit Raja Yoga nimmst du die Zügel des Lebens in deine Hand. Gedanken bestimmen zu jeder Zeit, wer wir sind und was wir für möglich halten. Du bist bereits ausgebildeter Yogalehrer in der Yoga Vidya Tradition? Mit dieser Weiterbildung im Raja Yoga erweiterst du dein Repertoire um psychologisches Wissen, Meditationstechniken, Visualisierungen, Affirmationen und intensives Hatha Yoga:
Die Welt, in der wir leben, ist zu großen Teilen Kopfsache. Wenn dich also oft bedrückende oder aufreibende Gedanken über die Vergangenheit und Zukunft grübeln lassen, deine Konzentration schnell zerstreut oder immer wieder dieselben Gedankenschleifen plagen: Immer mit der Ruhe, ist alles Training.
Schon die alten Yogis haben sich Gedanken darüber gemacht, wie wir unser Denken willentlich gestalten können und haben diese Disziplin „Raja Yoga“ genannt, den königlichen Weg des Yoga. Lerne in Yoga Seminaren und Ausbildungen über die fluide Natur des Geistes, praktische alltagstaugliche Yogaphilosophie und kraftvolle Techniken aus Meditation, Selbstreflexion, Visualisierung und Selbstregulation.
Yoga, Meditation, Mantra-Singen und Atemübungen sind dabei immer Teil der Yoga Vidya Seminare und laufen ergänzend nebenbei. In der Atmosphäre unserer lauschigen Ashrams kannst du dich so ganz ins Vertrauen begeben und dich voll auf deine Entwicklung konzentrieren.
Die Autorin

Gauri Daniela Reich Yogalehrerin (BYV), Ayurveda Gesundheitsberaterin (BYVG), Vegane Ernährungsberaterin, ausgebildet in Yoga Personal Training, Vinyasa Sequenzing, Thai Yoga Massage und Yin Yoga, Lehrerin für Prävention und Gesundheitsförderung (BSA), Fitnesstrainer B-Lizenz, Cardiofitness- und Entspannungstrainerin, Diplom Betriebswirtin (BA). „Yoga hat mein Leben von Grund auf verändert.
Dank der ganzheitlichen Yogapraxis hat mein Leben heute einen Sinn. Ich bin zufriedener, gesünder, umgänglicher und habe erfüllendere Beziehungen. Dieses Glück steht allen Menschen zu und ich sehe es als meine selbstverständliche Pflicht, dieses Wissen mit anderen zu teilen.“ Seminare mit Gauri >>
Quellen
- Die Yogaweisheit des Patanjali für Menschen von heute, Sukadev Bretz
- Ashtanga Yoga, Gregor Maehle
- www.ashtangyoga.info