Swami Sivananda über Jesus Christus

Dieser Text ist ein Auszug aus dem Buch „Göttliche Erkenntnis“ von Swami Sivananda.

Vor zweitausend Jahren inkarnierte Gott auf diesem Planeten, um der ganzen Menschheit den ruhmvollen Pfad zu ewigem Leben zu zeigen, indem er tatsächlich das göttliche Leben auf dieser Erde lebte. Jesus war kein gewöhnlicher Mensch. Er war die göttliche Kraft und Liebe, die sich auf diesem Globus aus einer bestimmten göttlichen Absicht inkarniert hatte.

Seine Ankunft stand im Zeichen der Erfüllung des göttlichen Plans zum Ablauf dieser Welt. Das wird aus der Art seiner Geburt und ihrem Hintergrund deutlich.

Die Art der Geburt Christi und ihre Bedeutung

Zeit und Umstände der Geburt Jesu enthüllen ein tiefes spirituelles Gesetz. Jesus Christus wurde nicht in einem großartigen Palast geboren. Er wurde nicht von reichen und gebildeten Eltern geboren. Er wurde auch nicht im strahlenden Tageslicht mit Kenntnis der ganzen Menschheit geboren.

Jesus Christus wurde an einem einfachen bescheidenen Ort geboren – in der Ecke eines Stalls. Er wurde einfachen und armen Eltern geboren, die nichts hatten, dessen sie sich hätten rühmen können, mit Ausnahme ihres makellosen Charakters und ihrer Heiligkeit. Auch wurde er in Dunkelheit geboren, in der dunkelsten Stunde der Mitternacht, als wirklich niemand etwas davon wusste, ausser ein paar von Gott gesegnete Menschen.

Der oben erwähnte sehr bedeutungsvolle Punkt besagt, dass das spirituelle Erwachen zu dem Suchenden kommt, der vollkommen bescheiden, ‘demütig’ und ‘arm im Geiste’ ist. Die Eigenschaft wahrer Demut ist eine der unerlässlichsten Grundlagen. Dann kommen Einfachheit, Frömmigkeit und das Verzichten auf jeden Wunsch nach weltlichem Wohlstand und den Stolz der Gelehrsamkeit.

Drittens, so wie Christus geboren wurde, ohne dass die Welt davon Kenntnis hatte und in der Finsternis der Dunkelheit, findet die Ankunft des Christusbewusstseins im Innern des Menschen statt, wenn völlige Selbstauslöschung, Selbstverneinung, herrscht.

Das ist die Geburt zum göttlichen Leben. Vom Geheimnis dieser Geburt sprach Jesus vor Jahrhunderten in sanften Worten zum guten Nikodemus. Der gute Mann verstand nicht ganz, was Christus meinte, als er lehrte, dass der Mensch wiedergeboren werden muss, wenn er das Reich Gottes erreichen soll.

»Wie kann das sein?«, fragte Nikodemus. Dann erklärte Christus, dass diese Geburt im Innern war, nicht den Körper betraf, sondern den Geist. Eine solche innere geistige Geburt ist wesentlich, wenn das Höchste erreicht und wahres Glück erfahren werden soll.

Die Einfachheit und Kraft von Jesu Worten

Die Art, wie Jesus lebte und lehrte, war einfach und trotzdem erhaben. Seine Lehrmethode war etwas Besonderes. Jesus war kein akademischer Gelehrter. Er konnte weder Anspruch auf akademische Grade, noch auf Doktortitel erheben. Er war kein Pandit oder Gelehrter. Er hatte keine erlernte Fähigkeit oder Meisterschaft in irgendeiner Handwerkskunst oder Wissenschaft erlangt.

Weder erging er sich in gewandter Rhetorik, noch hielt er gelehrte Reden von der Kanzel. Wenn er sprach, sprach er nur kurz, und seine kurzen Worte waren wenige. Seine Aussagen waren knapp, prägnant und fast wie Aphorismen. Aber in seinen Worten schwang eine aussergewöhnliche Kraft, die nicht von dieser Welt war. Die Worte Jesu waren lebendig und brennend. Sie brannten sich in die Tiefen des Bewusstseins seiner Hörer.

Und wieso? Wenn Jesus sprach, kamen seine gesegneten Worte aus den Tiefen einer grenzenlosen Liebe und eines unendlichen göttlichen Mitgefühls, das immer und immer wieder erschauderte von einem allesverzehrenden mächtigen Verlangen, den Menschen Gutes zu tun, zu dienen, zu helfen und sie zu retten.

Dieses Mitleid, zu reinigen und die Menschen zu erheben und zu retten, stellt wahrlich das heilige Herz Jesu, des Christus, dar. Diese Liebe belebte seine Worte mit einer göttlichen Kraft, die sie für immer in den Herzen seiner vom Glück begünstigten Zuhörer einschloss.

Das Christentum

Es gibt nicht viel komplizierte Philosophie oder Yoga Sadhana im Christentum. Das hat seinen Grund. Jesus hatte es mit den ungebildeten Fischern aus Galiläa zu tun. Er gab ihnen nur moralische Unterweisungen und zeigte ihnen den Weg rechtschaffenen Lebens.

Jesus ließ jede schwerverständliche philosophische Theorie und subtile intellektuelle Untersuchungen beiseite und lehrte den Menschen, wie er leben, und was er denken, fühlen und tun muss. Um das zu tun, kleidete er auch die höchsten Wahrheiten geistigen Lebens in einfache Erzählungen und Parabeln, die auch der einfache Mann von der Straße leicht begreifen und verstehen konnte.

In die Form einfacher Gleichnisse gebracht wurde die tiefste Weisheit geistigen Lebens den Menschen mit den süßen und segensreichen Worten des göttlichen Jesus nahegebracht.

Jesus erklärte die wahre Natur Gottes, des Menschen und der Welt, in der er lebte. Er lehrte die Menschen, die Art und Weise, Dinge zu betrachten, zu ändern. Er lehrte sie zu erkennen, dass die Welt, in der sie leben, das Königreich Gottes ist, wenn sie ihre Sicht des Lebens vom materialistischen zum spirituellen Aspekt hin ändern.

Jesus hat keine geschriebenen Aufzeichnungen seiner so wichtigen Lehren hinterlassen. Er übermittelte all seine Lehren mündlich. Weder er noch seine Jünger schrieben jemals auch nur ein einziges Wort, das er gesprochen hatte, zu seinen Lebzeiten auf. Die Worte Jesu wurden erst einige Generationen, nachdem sie geäußert worden waren, aufgeschrieben.

Seine Worte wurden missverstanden, falsch kommentiert, verstümmelt, verfälscht und verändert; und trotzdem haben sie zweitausend Jahre überlebt, weil sie sehr machtvoll waren und aus dem Herzen eines verwirklichten Yogis kamen.

Die Stimme Jesu

Die Stimme Jesu ist wahrhaft die Stimme des ewigen Wesens. Durch ihn drückt sich der Ruf des Unendlichen an das Endliche aus, des kosmischen Wesens an das Individuum, der Ruf Gottes an den Menschen. Seine göttliche Stimme ist deshalb dieselbe wie die Stimme der Veden und der Upanishaden, die Stimme des Koran, der Zend Avesta, des Dhammapada und aller heiligen Schriften der grossen Weltreligionen.

Im Grunde ist die Botschaft, die er predigte, eins mit der Botschaft, die durch diese heiligen Bücher dargelegt worden ist. Es ist der Weg der Verleugnung des Fleisches und der Betonung des Geistes. Es ist der Weg, das niedere Selbst zu kreuzigen, um eine ruhmvolle Auferstehung des Geistes und die letztendliche Erhebung in die Unendlichkeit und das Hinübertreten ins Göttliche zu erreichen.

Es ist kein anderer als der upanishadische Weg der Zurückweisung der Preyas und der Annahme der Sreyas, die Verneinung des Anatman und das Leben in Atman.

Jesus sagt: »Du kannst nicht sowohl Gott als auch dem Mammon dienen.« Mit anderen Worten beinhaltet seine Lehre: Trenne dich; verbinde dich. Trenne dich von den materiellen Dingen dieser vergänglichen Welt. Verbinde dich mit dem ewigen spirituellen Schatz des Atman. Christus lehrt uns auf diese Weise den grossartigen Weg, um uns über alle Sünden und Sorgen zu erheben.

Jesu Leben

Jesus ist die Verkörperung aller seiner Lehren. In Jesus sehen wir vollkommene Heiligkeit, Güte, Freundlichkeit, Gnade, Sanftmut und Gerechtigkeit. Er sagte: »Ich bin die Wahrheit, der Weg und das Leben.« Er ist die Verkörperung des Besten, Erhabensten und Schönsten. Er ist das vollkommenste Vorbild und das Ideal der Menschheit. Er ist ein Philosoph, Prophet, Lehrer und Reformer. Immer praktizierte er das, was er lehrte.

Eine fast überirdische, makellose Reinheit ruhte wie ein göttlicher Mantel über der erhabenen Persönlichkeit von Jesus, des Christus. Sein Leben war eine wundervolle Kombination von Jñana, Bhakti und Karma. Eine ideale integrale Entwicklung von Kopf, Herz und Hand hat sein Leben zu einem Beispiel für die Menschheit gemacht, dem in alle Ewigkeit nachzueifern ist.

Christus war sich seiner untrennbaren Einheit mit dem höchsten Selbst immer bewusst. Trotzdem fanden tiefe Hingabe und Liebe für den persönlichen Gott ständig in ihm in Form von Gebeten, Lobpreis und Verherrlichung Ausdruck. Und in seinem tatsächlichen täglichem Leben.

Jesus war wahrhaft eine Personifizierung des Geistes von Karma Yoga. Sein ganzes Leben war ein ununterbrochener Dienst an den Notleidenden. Seine Füße bewegten sich nur, um dorthin zu gelangen, wo Hilfe gebraucht wurde. Wenn seine Hände sich bewegten, dann geschah es nur, um den Bedrängten und Unterdrückten zu helfen. Seine Zunge sprach nur, um sanfte, honigsüße Worte des Mitgefühls, des Trostes, der Inspiration und Erleuchtung zu sprechen.

Allein mit dem Strahlen seiner leuchtenden Yogi-Augen erweckte, erhob und verwandelte Jesus jene, die er ansah. Er fühlte, dachte, sprach und handelte zum Wohle anderer. Inmitten all dessen weilte er im ungebrochenen Bewusstsein der Erkenntnis: »Ich und mein Vater sind eins.« Sein Leben war das eines Heiligen in Sahaja Samadhi.

Das Leben Jesu legt schweigenden und doch höchsten Heroismus angesichts der entschlossensten Opposition, Verfolgung und des Unverständnisses an den Tag. Und er hat ein Beispiel dafür gesetzt, wie ein wahrhaft Suchender den Versuchungen auf dem spirituellen Pfad widersteht.

Lange vor dem äußerlichen Drama der Kreuzigung hatte sich Jesus aus freiem Willen geistig gekreuzigt, indem er sein niederes Selbst auslöschte und ein rein göttliches Leben führte.

Jesus war Gott selbst. Die heilige Schrift erinnert uns immer wieder an diese Tatsache. Und dennoch, warum musste er dieses hohe Maß an Verfolgung und Leiden erdulden? Hätte er seine Feinde nicht durch bloßen Einsatz seines göttlichen Willens überwältigen können?

Ja. Aber die höchste Inkarnation der Liebe, die der Herr Jesus war, hatte es so gewollt, dass sein Leben zu einem Beispiel werden sollte, dem die Menschen nacheifern konnten. Deswegen verhielt er sich wie jedes andere menschliche Wesen; und in diesem Tun veranschaulichte er in seinem eigenen kurzen aber ereignisreichen Leben die grosse Predigt, die er auf dem Berge hielt.

Jesus und der moderne Mensch

Ja, Jesus blutete am Kreuze, um der Erlösung seines Volkes willen. Heute, von seinem ewigen Sitz im Reich Gottes aus, blutet sein göttliches mitleidvolles Herz noch sehr viel heftiger. Denn die Menschen seiner Zeit kannten das Gesetz nicht und fehlten; aber die Menschen der modernen Welt besitzen das strahlende Licht von Jesu Leben und Lehre, das den Weg der Rechtschaffenheit erhellt, und trotzd