Aparigraha: Unbestechlichkeit – Yama (Teil 5)

Aparigraha heißt Unbestechlichkeit

Die meisten Menschen haben irgendwo Dinge, die sie eigentlich nicht mehr brauchen, aber trotzdem nicht abgeben wollen. Seit 20 Jahren unbenutzte Instrumente, Urlaubssouvenirs von vor 15 Jahren, Unterlagen aus der Schule. Oft hören wir dann ein „Jaaaa, irgendwo für kann man das noch brauchen. Ich behalte es erstmal noch“. Aparigraha als Unbestechlichkeit oder Nicht-Anhaftung erklärt uns, warum das ein Denkfehler ist. Es geht dabei sowohl um Dinge, die wir selbst anschaffen, als auch Geschenke oder Denkmuster, die uns nicht mehr guttun.

Hier gehts zur Übersicht der Yamas und Niyamas. Ahimsa, Satya, Asteya und Brahmacarya sind die ersten vier Teile.

Patanjali verspricht uns im zweiten Kapitel Vers 39, dass wir erfahren, wie und warum wir geboren wurden, sobald wir fest in diesem Yama stehen. Andersrum formuliert hätte er auch sagen können, dass es dann keine Ablenkungen mehr zur Lebensaufgabe gibt. Hier wird besonders das Prinzip der Unbestechlichkeit deutlich. Bestechung heißt immer etwas zu tun, was wir eigentlich nicht tun wollen. Wenn wir etwas ohnehin tun wollen würden, bräuchte es keinen Bestechungsversuch. Stattdessen sieht es eher so aus, dass wir gegen unser inneres Gefühl handeln auf Wunsch eines anderen. Folglich bleiben wir unserer Natur nicht treu. Nun liegt es auf der Hand, dass jemand, der gegen seine Natur handelt, nur schwer sein wahres Selbst finden kann und damit den Grund, warum er auf der Erde ist.

Unbestechlichkeit, Geschenke und die wahre Liebe

Zum Glück sind die Yamas auch hier wieder nicht schwarz-weiß. Aparigraha heißt nicht, nie wieder Geschenke anzunehmen. Wenn wir etwas bekommen, kommt es auf die Intention des Schenkenden an. Will unser Enkel durch ein selbstgemaltes Bild Liebe ausdrücken? Oder will er sich einen Keks erschleichen? Richtig Schenken ist gar nicht so einfach. Wichtig ist, dass keine neue Bindung entsteht. Sukadev erklärt in seinem Kommentar zum Yoga Sutra, dass wir solche Geschenke ablehnen sollten, die uns in eine Abhängigkeit zwingen. Oft passiert das bei Geburtstagsgeschenken. Er hat mir etwas geschenkt, also muss ich ihm auch etwas schenken.

Aparigraha heißt auch, anzunehmen, wenn etwas von Herzen geschenkt wird.

Wir lassen uns quasi kaufen mit der Verpflichtung dem anderen auch ein Geschenk zukommen zu lassen oder ihm Hilfe beim Umzug anzubieten oder, oder, oder. Wenn das Gegenüber allerdings einfach nur seiner Liebe Raum geben will, dann gilt Ahimsa und wir sollten sie nicht durch Zurückweisung verletzten. Wir behalten durch Herzensöffnung unsere Freiheit in dem Wissen, dass wir dem anderen nichts schulden.

Absicherung trotz Aparigraha

Eine andere Form des Besitzes, der nicht unter Aparigraha fällt, ist die Absicherung. Unser Geist kommt nur schwer zur Ruhe, wenn er darüber nachdenken muss, wo die nächste Mahlzeit herkommt. Sukadev empfiehlt engagierten Aspiraten, nicht ihr ganzes Geld zu spenden. Dadurch entstehen vermeidbare Sorgen. Jemand der in einem Ashram wohnt hat diese Sorgen nicht. Hier ist das absolute Minimum an Absicherung in Form von dem Erhalt des Ashrams sinnvoll. Jemand der Selbstständigkeit braucht eine sehr viel höhere Absicherung als jemand, der verbeamtet ist. Was das absolute Minimum für jemanden ist, kann nur er selbst feststellen.

Es braucht also eine Balance zwischen Sicherheit und Anhäufung. Die Sicherheit macht unseren Geist frei, die Anhäufung nimmt uns die gewonnene Freiheit. Je mehr wir nämlich besitzen, um so mehr müssen wir uns auch darum kümmern. Angefangen von den kleinen Dingen, wie aufwendigeres Staubputzen zwischen Souveniren über Sorgen der Versicherung eines Computers bis hin zur zeitintensiven Pflege wie von einem Pferd. Jeder Besitz kommt mit bestimmten Verpflichtungen. Diese sollten so gering wie möglich sein, damit wir Zeit, Kraft und kognitive Kapazität sinnvoll nutzen können.

Wie viel braucht es?

Dass wir gar nicht so viel brauchen, wie wir immer denken, zeigt ein Ländervergleich. In Studien wurden Menschen gefragt, wie glücklich sie sind. Dabei ist vor allem aufgefallen, dass es zwei Gruppen von Ländern gibt. Die in denen die Grundbedürfnisse gedeckt sind und die, in denen es keine Sicherheit um ein Überleben gibt. Alle Menschen geben an, dass sie ein gutes Leben haben, solange sie Essen auf dem Tisch und ein Dach über dem Kopf haben. Dabei ist ganz egal, ob sie auf einem Esel in die Stadt reiten oder mit einem Ferrari in den Urlaub düsen, solange sie sich keine Sorgen um Nahrung, Wohnung und Krankheiten machen müssen (World Happiness Report, 2020).

Überall auf der Welt sind Menschen glücklich

Die zweite Sache, die in allen Ländern gleich war ist, dass es immer eine Unter-, Mittel- und Oberschicht der Glücklichkeit gab. Menschen vergleichen sich mit ihren Mitmenschen und wenn sie selbst weniger haben, machen sie sich sorgen. Aparigraha ist also nicht nur ein Yama wegen potentieller Geschenke, sondern auch wegen der gegenseitigen Rücksichtnahme. Wir sollten unsere Nachbarn nicht absichtlich eifersüchtig machen mit unseren tollen neuen Gartenstühlen. Die besonders laute neue Bass-Box zählt eventuell schon zu Ahimsa. Auch unsere Gehalterhöhung müssen wir ihnen beim nächsten Nachbarschaftsfest nicht auf die Nase binden. Es sorgt unter anderem dafür, dass wir wieder mehr an den Dingen haften und unsere gewonnene Freiheit verschwindet.

Gute Gewohnheiten

In „Die Kraft der Gedanken“ erklärt Swami Sivananda, dass das beste was wir für unseren Geist und Körper tun können ist, gute Gewohnheiten aufzubauen. „Der Mensch sät einen Gedanken und erntet eine Handlung“ (Vorwort). Aus ganz vielen Handlungen entsteht dann eine Gewohnheit und die sorgt wiederum für Unachtsamkeit. Wenn uns etwas schon zur Gewohnheit geworden ist, denken wir nicht mehr aktiv drüber nach. Ein gutes Beispiel ist der Kaffee. Viele Menschen trinken den Kaffee aus Gewohnheit, nicht weil er wirklich noch eine Wirkung auf sie hat. Dies ist eine herzliche Einladung einmal deine Gewohnheiten durchzugehen. Welche Dinge möchtest du wirklich konsumieren, welche nicht?

Und wenn wir dieses Wissen in Einklang bringen mit den anderen Yamas könnten wir etwa die Gewohnheiten ändern, die Leiden schaffen. Das bedeutet beispielsweise für den Kaffee entscheiden, dann aber nur noch fairtrade bio Kaffeebohnen zu kaufen. Wir können auf die in Plastik eingeschweißten Pads verzichten, die eine Menge Müll produzieren.

Kaffee können wir auch in Fairtrade kaufen.

Ein Leitfaden, um zu sehen welche Gewohnheiten wir wirklich brauchen ist, zu überlegen, warum wir etwas wollen. Essen wir Abends Chips vor dem Fernsehen, weil wir darauf wirklich Lust haben oder weil die Tüte da ist? Auch das Gebot aus der Bibel kann ein Anhaltspunkt sein: „Begehre nicht deines nächsten Weib, Knecht, Magd, Rind, Esel, noch alles, was dein nächster hat“. Manchmal passiert es, dass wir etwas wollen, einfach weil es jemand anders hat. Ein gutes Beispiel könnte der bekannte Futterneid sein. Eigentlich wollen wir grade keinen Donat, dann riecht es irgendwo nach Waffeln, jemand läuft mit einem Berliner vorbei und schwubs, haben wir das Verlangen nach einem Donat.

Aparigraha in der Praxis

Yoga ist ein ganzheitliches System und so auch die einzelnen Sätze im System. Ein guter Anfang ist Zuhause auszumisten. Aparigraha lädt uns ein, regelmäßig auszumisten. Da kommt schon das nächste Prinzip. Ahimsa, die Gewaltlosigkeit, steht über allen anderen Prinzipien. Beim Aufräumen sollten wir nichts wegschmeißen, was andere verletzt. Hat unser bester Freund uns ein Modellflugzeug geschenkt, weil das unsere erste gemeinsame Erinnerung ist, sollten wir das nicht wegtun, auch wenn wir es eigentlich nicht mehr brauchen.

Auch die anderen Yamas geben uns weiter Handlungsanweisungen in ihrem Zusammenspiel. Satya, Asteya und Brahmacarya als Wahrhaftigkeit, Nicht-stehlen und Enthaltsamkeit sind weitere gute Wegweiser für ein ethisches Leben. Es fällt auch direkt auf, wie sie zusammenhängen. Ich kann nicht etwas verschenken, dass ich geklaut habe, ohne unaufrichtig zu sein und jemanden zu verletzten. Es wird schwer Genügsamkeit zu üben, wenn ich dauernd Präsentkörbe an andere verschicke und dafür Abhängigkeiten ernte. Durch unser Verhalten können wir eine ganze Menge zum Wohl der anderen Menschen beitragen.

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